Architekturbuch: Das Bild der Sprache

Dieser Tage als schönstes Buch Österreichs geehrt, kürzlich in Leipzig gar als schönstes Buch der Welt: „Raum, verschraubt mit der Zeit“, das Architekturjahrbuch der Steiermark, gestaltet von Gabriele Lenz.

Bücher transportieren Inhalte. Gedachtes wird in Schrift, das Bild der Sprache, übertragen. Illustrationen haben die Aufgabe, Inhalte „hell zu machen, zu beleuchten“(lat. lustrare) und ihre Verständlichkeit zu fördern. So weit, so klar.

Zweifellos sind Bücher für Menschen, die sie lieben, aber mehr als Transporteure von Inhalt und Wissen. Sie spenden Trost, können ein Wir-Gefühl schaffen, sind purer Genuss und Leselust. Wer ins Lesen vertieft ist, scheint von seiner Umwelt abgeschnitten. Bücher können imaginäre Räume aufspannen. Und manchmal verwandelt sich die Flachware Buch ganz real in ein ansehnliches Gebilde plastischer Wirkung.

Ein solches Buch ist „Raum, verschraubt mit der Zeit“, das aktuelle Architekturjahrbuch der Steiermark, das den Architekturpreis des Landes 2010 und neun nominierte Bauwerke präsentiert. Wo der Schweizer Kurator Hubertus Adam zum besseren Verständnis die Qualitäten der von ihm ausgewählten Bauten in einen sehr persönlich gehaltenen Reisebericht fasst und diesen assoziativ mit einer zeitgeschichtlichen Analyse der Grazer Architekturbewegung, mit architekturhistorischen Verweisen, einer Sage und einem den Grazer Treppen gewidmeten Gedicht von Erich Fried verknüpft, und wo die Fotografin Herta Hurnaus eine in sich geschlossene Serie von Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Objekte liefert, tritt als kongeniale Partnerin die Wiener Grafikerin und Gestalterin Gabriele Lenz (mit Mitarbeiterin Elena Henrich) auf den Plan.

Die Aufgabe ist komplex. Unterschiedliche Textgattungen in Deutsch und in englischer Übersetzung, Planzeichnungen, Datenblöcke und Bildmaterial sollen miteinander verschränkt werden. Lenz trennt die Schwarz-Weiß-Fotografien von Herta Hurnaus vom Textteil und macht daraus ein eigenes Buch – einen Fotoessay mit dem Vorzug großer Bildformate. Die Texte werden in einer klaren Struktur ineinander verzahnter Textblöcke angeordnet, dezent farblich und in Schriftgröße und Schriftart voneinander abgesetzt und durch feinstrichige Pläne und Zeichnungen aufgelockert. So entstehen zwei Bücher, die mit ihren offenen Buchseiten nach innen nebeneinander angeordnet und in einem gemeinsamen Leineneinband gefasst sind. Der Leser hat die Freiheit, sich nach Lust und Laune in die Texte oder Bilder als eigene Lesestrecken zu vertiefen. Öffnet man beide Bücher bei am Seitenrand höhengleich angelegten feinen Linien, so stellt sich die Kongruenz von Objekttext und Bild ein, ist ein Ganzes.

Der Buchtitel, eine Zeile aus dem Gedicht von Erich Fried, bezieht sich viel eher auf das Kuratorenkonzept der inhaltlichen Verschränkung und die gestalterische Idee, die ihr die Form gegeben hat, die Inhalt und Form „verschraubt“ hat, als auf den Inhalt selbst. Aber er macht im gleichen Maß neugierig auf den Inhalt wie der blaugraue Leinenumschlag mit der Tiefprägung, die sich in eine Andeutung von Schrift auflöst, und die doppelten Buchrücken in Fadenheftung.

Gabriele Lenz orientiert ihre kreative Arbeit in erster Linie an der Frage, wie Typografie den jeweiligen Inhalt am besten transportieren kann. Gute Lesbarkeit, die Übersichtlichkeit von Schrift und Layout, Materialgüte, handwerkliche Qualität und Präzision auch in der Verarbeitung sind ihre Kriterien. An rein formalen Lösungen, an l'art pour l'art, ist die Grafikerin nicht interessiert. Ihr Wahlspruch „Gute Typografie macht keine Geräusche“ stammt von Otl Aicher, dem genialen deutschen Typografen, der die visuelle Gestaltung in den Nachkriegsjahren revolutioniert und immer behauptet hat, dass es schwieriger sei, einen Text gut lesbar anzubieten, als daraus eine schöne Struktur, ein Kunstwerk zu machen.

Mit der Buchgestaltung von „Raum, verschraubt mit der Zeit“ ist der Grafikerin beides gelungen, und so scheint es nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass dieses Buch unter 540 Büchern aus 31 Ländern ausgewählt wurde, sich mit dem Titel „Schönstes Buch der Welt“ und einer Goldmedaille schmücken zu dürfen. Letzte Woche wurde diese Auszeichnung, die seit 1965 von der deutschen Stiftung Buchkunst verliehen wird, an Gabriele Lenz im Rahmen der Leipziger Buchmesse überreicht. Die Auswahl kommt traditionell vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels, der dieses Buch zuvor mit 14 weiteren Publikationen als „Schönstes Buch Österreichs 2011“ nominiert hat. In dieser Woche wurde nun auch der daraus ausgewählte Österreichische Staatspreis – monatelang ein gut gehütetes Geheimnis – in einem feierlichen Akt für dieses einzigartige Buch vergeben.

Gabriele Lenz' „Büro für visuelle Gestaltung“ zeigt vermutlich nicht zufällig eine auffallende Ähnlichkeit in der Namensgebung mit Otl Aichers „Büro für visuelle Kommunikation“, das dieser nach der politisch motivierten Schließung der von ihm mitbegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm bis zu seinem Tod 1991 geführt hat. Wie für Aicher ist für die Gestalterin Lenz die Typografie, unter der man längst nicht mehr nur Schriftgestaltung und -layout versteht, Mittel und Form zur Erleichterung der Kommunikation – sie ist Kommunikation, die sich in Plakaten, Beschriftungen, in Leitsystemen und in Buchgestaltung ausdrückt. Aichers Piktogramme, Bildsymbole wie jene für die Sportarten bei den Olympischen Spielen 1972, sind weltweit in Verwendung, seine Zeichen für Abflug und Ankunft auf Flughäfen kennt jeder, sein Corporate Design für Braun, Lufthansa oder Erco Leuchten hat Designgeschichte geschrieben.

Gute Lesbarkeit ist bei der typografischen Arbeit, die auf dem Tisch von Gabriele Lenz landet, immer zugleich Motto und Herausforderung. Und so hat sie sich auch mit Leseforschung beschäftigt und im Rahmen einer Studie über das Leseverhalten von 13- bis 19-Jährigen im Team mit Daniela Kraus und Andy Kaltenbrunner 2008 eine Schriftenfamilie für Jugendliche entwickelt. „Typografie ist nichts anderes als die Kunst, jeweils herauszufinden, was das Auge mag, und Informationen so schmackhaft anzubieten, dass es ihnen nicht widerstehen kann“, sagt Otl Aicher. Möge Gabriele Lenz uns noch oft mit ihrer Kunst der Typografie Genuss bereiten. ■


Hubertus Adams Band „Raum, verschraubt mit der Zeit“ ist, herausgegeben vom Haus der Architektur Graz, bei Birkhäuser, Basel, erschienen (200 S., geb., € 49,90).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2012)

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