Steak: Den Dreck dürfen die Argentinier essen

Steak Dreck duerfen Argentinier
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Das Argentinische Angus Steak stammt längst nicht mehr von glücklichen Rindern auf unendlich weiten Wiesen. Vier von fünf Mastrindern werden mit Mais und Soja im Blitztempo gemästet.

Wäre man ein Rind, man würde sich hierher wünschen. „La Paloma“ heißt die Estancia im Flecken Medanos, zwanzig Kilometer nördlich des riesigen Rio Paraná. Eine grüne, weitgehend ebene Gegend, 180 Kilometer nordwestlich der argentinischen Metropole Buenos Aires, durchzogen von hunderten Bächen und Tümpeln, die sich regelmäßig auffüllen, wenn der Strom Hochwasser führt. Ein Gebiet, dessen sandige Böden sich nicht eignen für Ackerbau. Das ist der Rinder Glück.

Zwischen 12.000 und 14.000 Jungbullen lässt Ricardo Burgos von zehn berittenen Hirten von Weide zu Weide treiben. Der freundliche Mittfünfziger mit hohen Geheimratsecken und einem kräftigen Händedruck organisiert den Weidemastbetrieb aus seinem kleinen Zwei-Zimmer-Haus hinter der Villa des Betriebsbesitzers. Ein schwerreicher Hauptstädter, der nur gelegentlich vorbeikommt, um ein paar Längen in seinem 25-Meter-Pool zu ziehen. „Unsere Aufzucht gliedert sich in vier Mastgruppen mit 3000 bis 4000 Tieren“, erklärt Burgos, studierter Tierarzt, und jede Einheit umfast 5000 Hektar. 1,2 Hektar pro Jungbullen, da kann sich jeder herzhaft sattfressen.

Burgos bittet zu einer Tour im Jeep über das riesige Gelände. Am Ufer des Paranacito, eines stattlichen Nebenarms des großen Stroms, hält er an und wird jäh umringt von hunderten neugierig glotzenden Rindviechern. Man merkt den Tieren an, dass in ihrem Leben nicht allzu viel vorgefallen ist. Langeweile ist so ungefähr das Beste, was einem Fleischrind passieren kann. Die braunen Hereford und die schwarzen Aberdeen Angus gehören zu den begehrtesten Fleischrassen der Welt, besonders, wenn die Tiere mit Naturgräsern gemästet werden, wie diese nassforschen Gesellen, die ihre Schnauzen an das Fenster des Geländewagens drücken. „Diese Tiere hier haben fast das Schlachtgewicht erreicht“, erklärt Ricardo Burgos. Zwischen 480 und 520 Kilogramm wiegen die Tiere, wenn sie auf der Pritsche eines offenen Stattelzuges zur Schlachtbank gefahren werden. Das ist das Exportgewicht eines dreijährigen Bullen, angefressen in 28 Monaten Weidemast.

Ricardo Burgos' Bullen werden in einem Exportbetrieb geschlachtet und zerlegt. Eingeschweißt, gekühlt und nach Europa und Nordamerika exportiert werden schlussendlich nur sechs Schnitte: Filet, Entrecôte, Roastbeef, Lende, Hüfte und ein Muskelstrang, den die Argentinier Peceto nennen. Die Knochen und praktisch der gesamte Vorderteil der Tiere werden entweder in Länder ausgeführt, die keine so strengen Vorschriften haben wie Russland und manche arabische Staaten. Die Reste werden im Inland verscherbelt. „Ein Jammer“, sagt Ricardo Burgos, der weiß, dass seine Tiere zum Besten gehören, was die weltweite Mastindustrie produziert. Ein langwieriger, teurer Prozess, vor allem im dritten Jahr, in dem die Tiere nur noch 100 Kilo zulegen. Schon zwei Mal – 2006 und 2009 – verhängte die Regierung Exportverbote, was Produzenten wie Burgos zwang, sein Spitzenfleisch zu weniger als dem halben Preis zu verkaufen.


Agro-Konzerne kaufen Weiden. Mit solchen Methoden schaffte es die Regierung Kirchner, kurzfristig den Fleischpreis zu senken. Aber langfristig beschlossen viele Grundbesitzer danach, ihre Weiden an Agro-Konzerne zu vermieten. Nun wächst dort Mais, Weizen und vor allem Soja. Ricardo Burgos und die Estancia „La Paloma“ operieren am Rande der Rentabilität. Wenn der Boden hier zu etwas anderem taugte, wären die Rinder längst weg.

Von vielen anderen Weiden der Pampa Humeda – ein Gebiet größer als Texas – sind sie längst verschwunden. Argentinien war jahrzehntelang der weltgrößte Exporteur von Fleisch, das berühmt war für seinen kräftigen, natürlichen Geschmack und die hauchfeine Fettmaserung – Folgen eines entspannten Rinderlebens im täglichen Trott von Weide zu Weide. Weil dieses Premium-Produkt auf natürliche Weise entsteht und in Maßen genossen als gesundheitsfördernd gelten darf, lässt die Europäische Union jährlich 28.000 Tonnen zollfrei einführen. Doch schon zwei Mal schaffte es Argentinien nicht, diese Menge zu liefern. Dabei verschiffte das Land einst 150.000 Tonnen jährlich nach Europa. Argentinien, dieses überreiche und unregierbare südliche Weltende, erlebt gegenwärtig eine Finanz-, eine Fußball- und eine Fleischkrise. Und alle drei sind hausgemacht.


Rindfleisch ist in Argentinien essenziell. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass Rindfleisch für die Argentinier ungefähr die gleiche Bedeutung hat wie Heroin für Junkies. 70Kilo „Carne bovina“ stopfte jeder der 40 Millionen Argentinier im Jahr 2007 in sich hinein, das ist fünfmal so viel wie die auch nicht eben als Fleischverächter bekannten Österreicher. Eine Regierung, die ein solches Volk zufriedenstellen will, muss dafür sorgen, dass alle Untertanen stets genug zu grillen bekommen. Und das billig.

Weil seit dem Anfang des Jahrzehnts die Weltmarktpreise für Getreide ständig stiegen, begann auf den Weiden der eminent fruchtbaren Pampa ein Verdrängungsprozess. Um dem gegenzusteuern, begann die Regierung, Subventionen zu zahlen für Betriebe wie das Feedlot Santa Maria. Im Ort Magdalena, 100 Kilometer südlich der Hauptstadt, stehen in Reih und Glied 7000 Jungbullen und fressen. Viel mehr bleibt ihnen nicht übrig, denn die 40 Gehege der Anlage bieten den Tieren kaum Auslauf. Zu viel Bewegung wäre ohnehin schlecht für den Gewichtsgewinn, das einzige Ziel in dieser Lebendfleischfabrik. Das Trockenfutter, das die Tiere Tag und Nacht wiederkäuen, ist ein Hochproteinmix aus Mais und Soja. Wenn die Rinder hier als Acht-Monats-Kälber ankommen, wiegen sie 200 Kilo, drei Monate später sind sie schlachtreif mit 300 Kilo, dann enden sie in den Supermarktregalen unter der der Markierung „Novillito“, Jungbulle, das ist die meistgekaufte Sorte. So ein Supermarkt-Steak wird in elf Monaten produziert, Ricardo Burgos braucht für seine Saftstücke drei Jahre.


Kraftfutter statt Weidegras. Subventionen und Sojaboom haben dazu geführt, dass inzwischen vier Fünftel des in Argentinien verkauften Fleisches aus Feedlots stammen. Fleischhauer erzählen verschämt, dass es im 13-Millionen-Moloch Buenos Aires überhaupt kein Weidemastfleisch mehr gibt, Spitzenrestaurants ausgenommen. Erstaunlicherweise haben die Argentinier das klaglos akzeptiert, solange das Asado billig war. Offensichtlich benebelt von den Holzkohleschwaden, die jedes Wochenende die Millionenstadt einhüllen, bemerkten die Argentinier nicht, dass das Rindfleisch kaum noch nach Rind schmeckte und dass die Fettstränge immer dicker wurden.

Die Folgen dieses Prozesses, der in nur zehn Jahren eine Wandlung vollzog, die etwa in den Vereinigten Staaten 25 Jahre brauchte, rufen nun die Mediziner auf den Plan. Kardiologen beklagen den ständig steigenden Fettanteil des Fleisches und dessen negative Folgen auf den menschlichen Cholesterinspiegel. Und Gastroenterologen warnen vor UHS. Das Uremisch-Haemolytische Syndrom, eine massive Durchfallerkrankung, die tödlich verlaufen kann, wird ausgelöst durch Bakterien aus Rinderdärmen. Im Fleischparadies Argentinien sterben jährlich dreimal mehr Menschen – zwei Drittel sind Kinder – an dem Kolibakterium als im Durchschnitt der Welt. Der Erreger kann sich weitgehend ungestört ausbreiten, denn er hat in den Rinderdärmen Resistenzen gegen Antibiotika entwickelt. Wie ihre nordamerikanischen Artgenossen müssen auch südamerikanische Feedlot-Viecher täglich große Mengen an Medikamenten vertilgen, um die Gase loszuwerden, die ihre vier Mägen blähen.


Steaks als Gesundheitsgefahr. Denn die Natur hat nicht vorgesehen, dass Wiederkäuer Hülsenfrüchte verdauen. Bei Weidemastrindern gab es keine Resistenzen und entsprechend auch kein Problem mit Kolibakterien. Doch weil die Sanitätsvorschriften sich seit jenen keimfreien Vorzeiten kaum geändert haben – immer noch schleppen starke Männer komplette Rinderhälften durch die Straßen von Buenos Aires –, ist in Argentinien der Verzehr von einem zartrosa Steak inzwischen eine Gefahr für die Gesundheit. Gegen die resistenten Keime hilft nur Hitze über 80 Grad. „Braten Sie, braten Sie, braten Sie!“, rät Aníbal Pordomingo, Direktor des Landwirtschaftsforschungszentrums Inta. „Oder verzichten Sie auf Rindfleisch!“

Ein kleiner Nachsatz: Argentiniens Fleischwirtschaft separiert die Mast für den nationalen Konsum und den Export unmittelbar nachdem die Kälber mit acht Monaten die Aufzuchtweiden verlassen. Das immer schwieriger zu findende argentinische Fleisch, das hier in Europa verkauft wird, stammt von glücklichen Rindern wie jenen des Dr. Burgos. Den Dreck dürfen die Argentinier essen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

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