Lebensmittel: Wenn nicht drin ist, was draufsteht

Lebensmittel Wenn nicht drin
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Tiroler Speck, Steirisches Kürbiskernöl – auf Lebensmittel kann man viel schreiben, auch wenn die Schweine aus Dänemark und die Kürbiskerne aus dem Burgenland sind.

So schön ist selbst Tirol nur mithilfe von Photoshop: ein strahlend blauer Himmel, schneebedeckte Berge im Hintergrund, saftig grüne Wiesen im Vordergrund, dazwischen eine Almhütte, Fichten und ein Bach. Wer jetzt Appetit auf Tirol bekommen hat, muss nur den blauen Himmel aufreißen. Der Speck riecht verlockend, nur, dass er nicht aus Tirol ist, auch wenn „Tiroler Speck“ auf der Verpackung steht. Die Schweine aber haben weder die schneebedeckten Berge noch die saftigen Almwiesen je gesehen. Sie waren aus Dänemark.

„Es muss nicht Tirol drinnen sein, wo Tirol draufsteht“, erklärt Birgit Beck vom Verein für Konsumenteninformation (VKI). Tatsächlich kann man in Österreich auf ein Lebensmittel ziemlich viel schreiben. Nicht nur Tiroler Speck, wenn die Schweine aus Dänemark sind, sondern theoretisch auch Burgenländischer Bergkäse oder Tiroler Bananen – nur sind das nicht wirklich glaubhafte Namen. In der Praxis aber ist die Bezeichnung „Burgenländischer Bergkäse“ ungefähr so wahrheitsgemäß, wie der Name „Hartberger Bauernquargel“. Der Skandal vor zwei Jahren um den mit Listerien verseuchten Quargel hat eine der unverschämtesten Namensanmaßungen auf dem Lebensmittelmarkt bekannt gemacht und ist ein Grund dafür, dass es bald strengere Vorschriften geben wird, wie man ein Lebensmittel nennen darf.

Mit Hartberg und Bauern hatte der Sauermilchkäse aus der Steiermark nämlich wenig zu tun, auch wenn „Käse aus Österreich“ zwischen einer rot-weiß-roten Fahne samt dem Hinweis stand: „Hergestellt nach alter österreichischer Tradition.“ Das klingt schön und verkaufsfördernd, nur war kein einziger Tropfen steirischer Milch in dem Käse. Sie kam zu 100 Prozent aus Holland. In Deutschland verarbeitete man sie zu Topfen, in Hartberg wurde das Produkt lediglich verfeinert und verpackt – immerhin nach alter österreichischer Tradition.

„Was auf der Verpackung steht, sagt nichts über die Herkunft der Rohstoffe aus“, sagt Beck. Man könne beispielsweise Schweinefleisch im Ausland einkaufen, hier zu Schnitzel verarbeiten und auf die Verpackung drucken: „Garantiert aus Österreich.“ Schließlich wird das Fleisch in Österreich verarbeitet. Einzige Hürde für Fantasiebezeichnungen ist der „Täuschungsparagraf“ im Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz. Darin heißt es, man dürfe Lebensmittel nicht mit irreführenden Angaben über die Herkunft und Herstellung bewerben oder in Verkehr bringen. Was in die Irre führt, ist in vielen Fällen aber nicht ausjudiziert.


Fantasievolle Namen. Wie fantasievoll die Hersteller bei der Benennung ihrer Produkte sind, zeigt ein Blick in den Lebensmittelsicherheitsbericht 2010 des Gesundheitsministeriums: Die Kontrolleure untersuchten 31.000 Proben, 1395 Produkte wurden beanstandet, weil sie irreführende Angaben enthielten. Konkrete Beispiele will das Ministerium nicht nennen, der VKI untersucht aber regelmäßig Lebensmittelangaben auf ihren Wahrheitsgehalt: Da wurde beispielsweise der Philadelphia-Frischkäse „Gegrillte Paprika“ beanstandet, der auf der Verpackung mit einem Foto prachtvoller Paprika wirbt. Im Frischkäse selbst fanden sich aber nur 1,5 Prozent gegrillte Paprika. Der „atlantische Räucherlachs“ von Norsson war wiederum nicht nur aus Norwegen, wie der Aufdruck glauben machen wollte, sondern auch aus Chile, das mit dem Atlantik nicht wirklich viel zu tun hat.

Selbst ausdrücklich europaweit geschützte Namen bedeuten noch lange nicht, dass der Rohstoff aus der Region ist. Der Namenszusatz „geschützte geografische Angabe“ (g.g.A.), ein Gütesiegel der EU, garantiert beispielsweise die Herkunft eines Produkts aus einer bestimmten Region. In Österreich sind sechs Lebensmittel so geschützt und gekennzeichnet, darunter Steirisches Kürbiskernöl, Marchfeldspargel und Tiroler Speck. „Das Problem ist, dass g.g.A. irreführend geregelt ist“, meint Martin Greßl, Qualitätsmanager bei der Agrarmarkt Austria (AMA). Die Voraussetzung für das g.g.A.-Siegel ist nämlich lediglich, dass ein Verarbeitungsschritt in der Region erfolgen muss. Im steirischen Kürbiskernöl sind beispielsweise auch Kürbiskerne aus dem Südburgenland und aus Teilen Niederösterreichs. Allerdings nicht aus Slowenien, versichert die „Gemeinschaft Steirisches Kürbiskernöl g.g.A.“, die die Vergabe des Gütezeichens kontrolliert.

Das Gerücht slowenischer Kerne hält sich seit einer parlamentarischen Anfrage der Grünen im Jahr 2009 hartnäckig. Die Partei errechnete damals, dass für die Menge des Kernöls, das mit Steiermark-Bezug verkauft wird, 18.000 Tonnen Kürbiskerne nötig sind. Die jährliche Ernte in Österreich betrug gerade einmal 9000 Tonnen.

„Wir haben drei Angestellte, die die Anlagen und die Bauern kontrollieren“, betont „Gemeinschafts“-Obmann Franz Labugger. So stelle man sicher, dass nur Kerne aus dem eingegrenzten Gebiet verwendet werden. Man gehe auch streng gegen alle vor, die vortäuschten, dass ihr Kernöl etwas mit der Steiermark zu tun hätte, wenn dem gar nicht so sei. So habe eine Handelskette ein gewöhnliches Kürbiskernöl verkauft, auf dessen Etikett ein Foto der Steiermark prangte. Man habe das Unternehmen schriftlich abgemahnt.


Schweine aus Österreich. Speck kann dagegen mit Fotos aus Tirol und dem Aufdruck „Tiroler Speck g.g.A.“ verkauft werden, auch wenn die Schweine aus Dänemark sind. Die Firma Handl aus dem Tiroler Ort Pians hat das jahrelang gemacht und macht es teilweise noch. „Wir können gar nicht anders“, betont Geschäftsführer Christian Handl. Denn in Tirol und selbst in Österreich gibt es nicht genug Schweine, um den Bedarf des Familienunternehmens zu decken. 350.000 bis 400.000 Schweine verarbeitet das Unternehmen pro Jahr, in Tirol züchtet man pro Jahr gerade einmal 12.000.

Also muss man den Rohstoff importieren. „Zirka 60 Prozent unserer Schweine kommen aus Österreich, 35 Prozent aus Deutschland und etwa fünf Prozent aus Dänemark“, erklärt Handl. Weil die Verarbeitung in Tirol erfolgt, darf die Firma den g.g.A.-Zusatz verwenden. Mehr als die Hälfte der Produkte – neben Speck unter anderem auch Wurst und Braten – wird exportiert. Der Speck, der beispielsweise in Deutschland als „Tiroler Speck“ von Handl verkauft wird, kommt vorwiegend von deutschen Schweinen. Kauft man ihn in den USA oder Asien, waren es mit großer Wahrscheinlichkeit Schweine aus Dänemark. Diese erfüllen nämlich laut Handl als einzige die strengen Importvorschriften dieser Länder für Fleisch.

Die Diskussion über ausländische Schweine unter Tiroler Namen hat vor zwei Jahren aber zu einer wesentlichen Änderung geführt: Jeder Speck von Handl, der in Österreich verkauft wird, ist mittlerweile garantiert von österreichischen Schweinen. Das stellt ein AMA-Gütesiegel sicher, mit dem man die Herkunft des Schweins bis zum Bauern nachvollziehen kann.

Mehr als 600 Fleischerzeugnisse von verschiedenen Unternehmen haben das AMA-Gütesiegel. Insgesamt sind es 4000 Artikel, sagt Greßl: „Milch, Käse, Fleisch, Obst, Gemüse, Eier.“ Etwa 70Prozent der Milchprodukte und etwa 30 Prozent der Fleischwaren, die in Österreich verkauft werden, tragen das Siegel, das Experten als einzig vertrauenswürdiges bezeichnen.

Denn auch mit den Gütezeichen wird Schindluder getrieben. 150 Zeichen gibt es in Österreich. Nur wenige sind legitime, die meisten „erwecken den Anschein, ein Gütesiegel zu sein, wenn sie in Wirklichkeit nur die Erfindung des Herstellers sind“ (Greßl). Man kann zum Beispiel ein schönes Wappen mit den Worten Bauer, Berg oder Natur versehen und so zu Bauernkäse, Naturbutter oder Bergmilch machen. Nur der Ausdruck „Bio“ ist geschützt.


Neue EU-Regeln. Doch mit dem Schein auf den Produkten wird es spätestens Ende 2014 vorbei sein. Dann gilt eine neue „Verbraucherinformationsverordnung“ der EU, die unter anderem für alle Fleischarten eine Herkunftskennzeichnung vorschreibt (siehe unten stehenden Bericht). Ist ein Lebensmittel mit einem Herkunftsort versehen, dessen Zutaten aber aus einer anderen Region sind, muss ein Aufdruck auf diese Region hinweisen: Auf dem „Hartberger Bauernquargel“ müsste dann zusätzlich stehen: „mit Milch aus Holland“. Im Gesundheitsministerium tagt derzeit eine „Arbeitsgruppe Täuschungsschutz“, die Leitlinien erarbeiten soll, um mehr Wahrheit in die Produktbezeichnung zu bringen.

Wer wirklich sichergehen will, dass das Produkt aus der behaupteten Region ist, sollte auf den Zusatz g.U. achten. Er steht für „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und wird nur für bestimmte Lebensmittel vergeben, und auch nur dann, wenn das Produkt aus der Region stammt und die Verarbeitung in dieser erfolgt. „Wachauer Marille“ ist beispielsweise ein g.U.-Produkt.

Wenn man die Marillen freilich von Straßenhändlern kauft, bei denen es keinen g.U.-Aufkleber gibt, sollte man einfach seinen Verstand einschalten: Vergangenes Jahr standen im Juni beispielsweise Dutzende Straßenhändler zwischen Melk und Krems und priesen Marillen an. Aus der Wachau waren die aber definitiv nicht: Denn zu diesem Zeitpunkt waren die Marillen noch nicht einmal reif.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

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