FPÖ: Die Einsammler der Vergessenen

FPÖ: Die Einsammler der Vergessenen
FPÖ: Die Einsammler der Vergessenen(c) REUTERS (Leonhard Foeger)
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Stimmenfänger Heinz-Christian Strache: Die Freiheitlichen kapern erfolgreich ganze gesellschaftliche Gruppen und besetzen einfach verwaiste Themen. Einwand gegen eine freche Zielgruppenpolitik.

Diese Aufgabe dürfte noch einigermaßen herausfordernd werden. Selbst für jemanden, der unter dem eigenen Genieverdacht steht wie Herbert Kickl. Aber ein Parteistratege muss da durch. Denn die nächste Wählergruppe wartet schon. Aber es ist eben nicht leicht, die Dicken und Übergewichtigen politisch nachhaltig zu vereinnahmen und dabei dennoch das sportliche Image aufrechtzuerhalten, das Heinz-Christian Strache in hunderten qualvollen Fitnessstudio-Stunden aufgebaut hat.

Aber die politische Umarmung würde für die FPÖ wieder einmal Sinn machen: Die Dicken haben keine politische Lobby – im Gegenteil, die einen wollen sie therapieren, nehmen sie also als „krank“ wahr, die anderen wollen sie mit einer Fettsteuer belasten. Denn es darf davon ausgegangen werden, dass Übergewichtige von höheren Abgaben auf Zucker, Fastfood und Co. stärker betroffen wären. Zudem fühlen sich Dicke seit Jahrzehnten von der Öffentlichkeit verfolgt, das allgemeine Schönheitsideal in Werbung, Modelshows und Illustrierten erinnert sie daran, dass sie auf der Verliererseite der Ästhetikgesellschaft vor dem Fernseher sitzen.

Genauso geht die FPÖ beim Wählerfang vor: Neben dem mittlerweile klassischen Rechtspopulismus, der auf Themen wie Angst vor Überfremdung und allgemeine Ressentiments setzt, werden potenzielle Zielgruppen geortet, die die anderen politischen Parteien ignorieren oder sogar angreifen. Dann werden politische Signale gesetzt und Forderungen erhoben und schon wählen ein paar Tausend mehr die FPÖ. Während SPÖ und ÖVP immer Politik für ihre bestehende Klientel betreiben, kümmert sich die FPÖ um die potenziell neue. Als in vielen Ländern Raucher aus Restaurants verbannt wurden und immer mehr Politiker gegen das Rauchen Stimmung machten, übernahm die FPÖ ungefragt deren Position. Gegen das Rauchen sind ohnehin schon die anderen.

Manchmal findet die FPÖ Gruppen, die bisher einfach sträflich ignoriert wurden: Jahrzehntelang wurden in Österreich Väter vor Gericht bei Obsorgeverfahren benachteiligt, zum Teil bis heute. Folgerichtig rief sich die FPÖ als Väterpartei aus, generell sind es es vor allem die Männer – laut allen Umfragen ohnehin „anfälliger“ für die FPÖ –, die die Freiheitlichen adressieren. So gehört der „Gender-Wahn“ mit dem bösen Binnen-I zum Standardrepertoire einer jeden launigen FPÖ-Ansprache.


Keine Gruppe zu klein. Der FPÖ ist auch keine Gruppe zu klein: Als sich die öffentliche Meinung gegen Kampfhunde wandte und sich die Wiener SPÖ zu Einschränkungen gezwungen sah, machten sich plötzlich Freiheitliche für die bissigen Vierbeiner stark. Ängstliche junge Mütter mit Kindern in Wien wählen vermutlich die Grünen und/oder stammen ohnehin aus dem Ausland, lautete vermutlich die strategische Abwägung dahinter.

In Wien überlegt die FPÖ, die bisher vor allem in SPÖ-Bezirken Stimmung machte, sich noch stärker um ehemalige oder frustrierte ÖVP-Anhänger zu kümmern; dafür soll sich die Partei in Zukunft noch stärker den Autofahrern widmen. Unter Rot-Grün und Parkpickerlorgien dürfte dies zentrale Positionierung werden. Nur mit Ausflügen in die konservativ-katholische Ecke tut sich die Partei mit ihrem historischen deutschnationalen Hintergrund traditionell schwer.

Um bei Frauen besser zu punkten, will die Partei künftig stärker die Mütter ansprechen und – heftig diskutierte – Themen besetzen: Ein kleiner Feldzug gegen den Kaiserschnitt und für das Stillen könnte da Punkte bringen.

Und natürlich arbeitet die FPÖ mit einem beliebten Trick, den auch manche Schriftsteller und Journalisten gern anwenden: Im inszenierten Widerstand gegen den Terror der Political Correctness lässt sich ein schönes Wir-Gefühl erzeugen. Etwa heißt es dann stets: „Aber das darf man heute ja nicht mehr sagen.“ Dass diese Verbote nur von ein paar Tugendwächtern kommen, auf die keiner hören müsste, geht da fast unter, das Vorhandensein einer Sprachpolizei wird dazu gern konstruiert. Tatsächlich finden sich immer ein paar unterbeschäftigte Aktivisten, die gegen den „Mohr im Hemd“ ins Feld ziehen, Heinz-Christian Strache müsste ihnen eigentlich viel Geld dafür zahlen.

Wie überhaupt alle für den Stimmenfänger zu arbeiten scheinen. Denn dass etwa Väter bisher von keiner politischen Partei unterstützt wurden, zeigt deutlich, wie sehr die Funktionäre gesellschaftliche Trends verschlafen. 2012 lassen sich Väter in Obsorgeverfahren eben nicht so behandeln wie vor 20 Jahren und sind vermutlich eher bereit und willens, um ihre Kinder oder zumindest ein Besuchsrecht zu kämpfen.

Bei den Rauchern geht es zwar vor allem um Symbolik, aber auch da scheint keine Partei außer der FPÖ verstanden zu haben, dass ein allgemeiner Unwillen über die Verbotegesellschaft herrscht. So gelingt absurderweise ausgerechnet einer Partei, die für Law and Order stehen will, gegen Verbote aufzutreten, während auf der anderen Seite des politischen Spektrums die tolerant auftretenden Grüne für Verbote sind.

Ausgerechnet die Gegner Straches schaffen es endgültig, der FPÖ das Monopol über solche Themen zu sichern – mit dem reflexhaften Verdacht, jeder, der Verständnis für kämpfende, vertriebene Raucher oder frustrierte Bewohner von Ausländervierteln hat, sei Anhänger oder Wegbereiter Straches. So behält er die emotionale Themenführerschaft.

Die Zielgruppen Der FPÖ

Neben klassischen Themen wie der Angst vor Überfremdung setzt die FPÖ auf potenzielle Zielgruppen, die von anderen politischen Parteien ignoriert oder sogar angegriffen werden. Das waren bisher etwa geschiedene Väter, die um die Obsorge ihrer Kinder kämpfen, Kampfhundebesitzer, frustrierte ÖVP-Wähler oder Raucher. Konservative Mütter sollen mit einem kleinen Feldzug gegen den Kaiserschnitt und für das Stillen gewonnen werden. Seit Kurzem hat die FPÖ die Dicken und Übergewichtigen im Visier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

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