In der Zweiten Republik gab es bisher zwei Wellen der Veränderung, eine dritte läuft gerade. Nicht immer ist das Neue das Gute.
Das österreichische Parteiensystem der Zweiten Republik hat bisher zwei große Wellen der Erschütterung und nachfolgender Veränderungen erfahren. Verschiebungen in der politischen Tektonik sozusagen, die zu einer neuen Parteienlandschaft geführt haben.
Diese Wellen weisen – bei aller Unterschiedlichkeit im Detail – ähnliche Verlaufsmuster auf. Es kommt zu Unbehagen und Unruhe, vorerst an den Rändern der beiden Traditionsparteien SPÖ und ÖVP beziehungsweise bei politisch interessierten Bürgern. Mit der Zeit breitet sich das Unbehagen aus, wird zur Unzufriedenheit.
Diese nährt sich aus verschiedenen Quellen: Kritik an Politikern, Funktionären, „dem Apparat“, Affären und Skandale, die sich hoher medialer Aufmerksamkeit erfreuen, der Eindruck mangelnder Mitsprachemöglichkeiten, die Vernachlässigung neuer Probleme durch die großen Parteien usw.
Die sich abzeichnende neue politische Agenda ist zunächst noch relativ diffus. Sie wird entweder von Gruppen und Personen aufgegriffen, die vorerst noch einen Klärungs- und Selektionsprozess durchlaufen, bis sich eine Strömung durchsetzt und auch organisatorisch halbwegs stabilisiert (die Grünen aus der Ökologie- und Anti-Atomkraftbewegung, aus ALÖ und VGÖ). Oder sie wird von einer neuen Führungsgarnitur in einer existierenden Oppositionspartei auf den politischen Punkt gebracht (neuformierte FPÖ unter Haider).
Kein linearer Prozess
Die etablierten Parteien sind nicht gewillt oder in der Lage, der veränderten Stimmung in Teilen der Wählerschaft Rechnung zu tragen. Inzwischen findet die neue Konstellation beträchtliche mediale Aufmerksamkeit. Es folgt der Einzug der Neuen in lokale, regionale und bundesweite Vertretungskörper und ein verstärkter Wählerzuspruch. Der geschilderte Prozess ist dabei weder linear noch quasi naturgegeben. Nicht jede Gruppierung schafft es, manche versinken nach Anfangserfolgen wieder in der Bedeutungslosigkeit (LIF, diverse neue Parteien auf Landesebene), es gibt interne Konflikte und Abspaltungen (BZÖ), Rückschläge und zeitweise erfolgreiche Trendumkehrungen (ÖVP unter Schüssel 2002).
Geschwächte Traditionsparteien
Trotzdem zeigt die bisherige Erfahrung, dass jede dieser Wellen mit einer substanziellen Schwächung der Traditionsparteien und der Etablierung neuer bzw. neuformierter Parteien geendet hat.
Eine ähnliche Situation erscheint auch derzeit wieder gegeben: eine immer beweglichere Wählerschaft, hohe Unzufriedenheit, diverse Affären, Unruhe auch innerhalb und an den Rändern der Platzhirsche, Absetzbewegungen in der Wählerschaft. Manche befürchten einen Bruch zugunsten der Opposition. Dabei wird übersehen, dass inzwischen auch FPÖ und Grüne etablierte Parteien mit ausgeprägten Schwächen sind, die Barrieren für einen stabilen Wählerzuwachs darstellen.
Die verstärkte Linksorientierung der Grünen ist für viele Wähler nicht einladend, Ähnliches gilt für ihre oft penetrante Selbstgerechtigkeit und ihr moralisches Überheblichkeitsgehabe (samt Scheinheiligkeit). Die FPÖ zeichnet sich durch eine widersprüchliche und inhaltlich inakzeptable Politik aus, von Verteufelung politischer Gegner und diverser „Feindbilder“ ganz zu schweigen.
Beim Auftreten von halbwegs inhaltlich wie personell seriösen Neuen könnte ihr momentaner Höhenflug schnell wieder vorbei sein und das Parteiensystem um den einen oder anderen Akteur reicher. Womit nicht unterstellt sein soll, das „neu“ unbedingt gut oder auch nur besser sein muss.
Peter A. Ulram ist Dozent für Politikwissenschaft an der Uni Wien und Geschäftsführer von Ecoquest.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2012)