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Die Jazzkantine will Heimat nicht den Rechten überlassen

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Die Braunschweiger und 1993 formierte, Jazz-Rap-Band spielt nun Volkslieder. Schräg, jazzig und selbstverständlich kritisch. „Die Gedanken sind frei“ überrascht mit jamaikanischer Blue-Beat-Anmutung.

„Keine Heimat, wer schützt mich vor Amerika?“, sang Annette Humpe 1983 mit ihrer Neue-Deutsche-Welle-Band Ideal. Damit griff sie ein Tabu auf. Wollte man als deutsche Band zu Weltgeltung kommen, so durfte man keinesfalls mit der Flagge winken. Wie D.A.F. in „Kebabträume“ bellten: „Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei.“ Identifizierte man sich dagegen wie die Elektronikpionierkombo Kraftwerk mit aseptischer Technik, so kam das dem Klischee entgegen, das in England und Amerika gern auf Deutsche projiziert wurde.

In den letzten Jahren, insbesondere nach dem „deutschen Sommermärchen“ der Fußball-WM 2006, wurde die Scham geringer: Schwarz-Rot-Gold sieht man wieder häufiger, und auch altes Liedgut wird wieder geherzt. Der Jazztrompeter Till Brönner hat schon 1996 mit seinem Album „German Songs“ gezeigt, wie krampflos das funktionieren kann.

„Hoch auf dem gelben Wagen“

Während sich Brönner aber eher auf Repertoire der Dreißigerjahre konzentrierte, wagte sich die Braunschweiger Jazzkantine nun an kernige Uraltsongs wie „Hoch auf dem gelben Wagen“ und „Am Brunnen vor dem Tore“. Heimat und Liedgut wollen sie sich nicht von den Rechten wegnehmen lassen, sagen sie auf dem Cover, das sie stilecht in rot-weiß-karierten Hemden unter Geweih und Kuckucksuhr zeigt. Als Gäste rekrutierten sie eine bunte Schar. Neben dem schwedischen Posaunisten Nils Landgren und der De-Phazz-Sängerin Pat Appleton brilliert vor allem Theaterregisseur Peter Schanz, der in sanften musikalischen Zwischenspielen große Fragen stellt: „Sind für Sie Zuhause und Heimat das Gleiche? Was macht für Sie am ehesten Heimat aus? Eine Adresse? Ein Gefühl? Ein Geruch?“

Jazzkantine, die sich 1993, inspiriert durch das Jazzmatazz-Projekt des amerikanischen Gang-Starr-Rappers Guru, formiert haben, geben ihre Antwort erwartungsgemäß musikalisch internationalistisch. Sie dekonstruieren das speckige Liedgut und integrieren die brauchbaren Teile davon in ihre würzigen Jazz-Grooves. „Im Frühtau zu Berge“ beginnt etwa mit einer zackigen Fanfare, die in ein Rock-'n'-Roll-Riff übergeht. Schmunzeln lässt auch das alte Kinderlied „Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann“, das plötzlich ein schmuckes Funk-Kleid trägt.

„Die Gedanken sind frei“ überrascht mit jamaikanischer Blue-Beat-Anmutung. Textlich hält sich Sänger Cappuccino an die Hoffmann-von-Fallersleben-Version dieses um 1800 entstandenen emanzipatorischen Liedes. Und weil die Band nicht rein germanisch besetzt ist, darf Rapper Tachi in „Mutter Türkei“ über den besonderen Duft der dortigen Luft schwärmen. Heimat im Zeitalter der Globalisierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2012)

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