Benedikt XVI. darf mit der zu Ende gegangenen Lateinamerika-Visite zufrieden sein.
Wie groß mag die Freude Benedikts XVI. über die Rückkehr nach Rom zu „seiner“ Kurie sein? Über die Rückkehr zu Intrigen und bürokratischen Schikanen? Zu den Problemen der katholischen Kirche Europas? In Mexiko zeigte sich der sonst nach außen eher kühle Papst durch der Jubel der Hunderttausende sogar gerührt. Da lebt die Volkskirche also (noch), in der auch der beinahe 85-Jährige sozialisiert wurde.
Da ist auch der Klerus weitgehend auf Linie gebracht worden, vor allem von ihm selbst in seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation unter Vorgänger Johannes Paul II. Joseph Ratzinger hat es geschafft, die Befreiungstheologie in ganz Lateinamerika auf römische Verträglichkeit zurückzustutzen. Mit Erfolg, wie er sich nun während seiner am Mittwoch zu Ende gegangenen mehrtägigen Reise zufrieden überzeugen durfte. Und in Kuba? Da hat das Oberhaupt der Katholiken so etwas wie das Sterbebett des Marxismus besucht. Jenes Marxismus, der jahrzehntelang kirchlicherseits so leidenschaftlich bekämpft wurde, dass dabei andere Gefahren sträflich übersehen wurden. Benedikts Nachruf in Anwesenheit Raul Castros hörte sich dann so an: „Die marxistische Ideologie entspricht nicht mehr der Realität.“ Ja, ja, die Realität. Wie weit entsprechen katholische Lehre und Ordnung der „Realität“? Das fragen in Mexiko heute nur wenige. In Europa (und nicht nur dort) jedoch immer mehr. Schon bald werden diese Fragen auch die Fragen Mexikos sein.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2012)