Schönborn will Allianz gegen Korruption und Skandale

Kardinal Christoph Schönborn im Gespräch mit div. Chefredakteuren.
Kardinal Christoph Schönborn im Gespräch mit div. Chefredakteuren.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Kardinal appelliert im "Presse"-Interview für einen breiten Dialog zu den großen Problemen des Landes. Und er ist betroffen von den Polit-Skandalen.

Die Presse: Wenn man sich die Situation der katholischen Kirche in Österreich ansieht: Sind wir da dem Karfreitag oder dem Ostersonntag näher?

Christoph Schönborn: Es gibt kein Ostern ohne Karfreitag. Zweifelsohne ist das, was die Kirche in Österreich aber auch in anderen Teilen erlebt, so etwas wie ein Karfreitag - wenn es wahrgenommen wird als das, was in den Grundtext des Christentums gehört: als Aufruf zur Umkehr.

Worin sollte diese Umkehr bestehen?

Sich den Problemen, der Wirklichkeit, der Wahrheit zu stellen.

Was ist die Wahrheit?

Dass man Dinge beim Namen nennt, nicht schön redet, nicht vertuscht.

Auch um den Preis von Irritation?

Offenheit fällt schwer, weil sie weh tun kann. Wenn wir uns der Tatsache stellen, dass wir als Gesellschaft über unsere Verhältnisse gelebt haben, dann tut das weh. Es tut weh, hinzuschauen, ist aber Voraussetzung dafür, dass es Heilung geben kann. Man muss auch sagen: Eine Gesellschaft, in der es keine Barmherzigkeit gibt, ist keine Gesellschaft, die die Wahrheit fördert. Wenn die einzige Möglichkeit, mich der Wirklichkeit zu stellen, die generelle Verurteilung ist, dann wird man so lange es möglich ist, die Wahrheit vertuschen.

Das klingt danach, als ob die Kirche fast gezwungen war, zu vertuschen.

Es ist für die Kirche besonders beschämend, dass so viel Verdrängung stattgefunden hat. Aber wir haben vor zwei Jahren klar optiert: Wir wollen uns der Wahrheit stellen.

Gib es strukturelle Gründe, die Missbrauch in der Kirche möglich gemacht haben?

Die schwarze Pädagogik war für mich Alltagserfahrung. Ich habe in der Volksschule den Sadismus unseres Direktors erlebt, der Kinder so geprügelt hat, dass er einen Rohrstab auf dem Rücken zerbrochen hat. Ich bin nie von einem Lehrer angerührt worden, aber ich habe sehr viel Gewalt in der Schule erlebt und niemand hat einen Finger gerührt. Das muss aufgearbeitet werden.

Ihre Botschaft lautet also: Es war kein kirchliches Problem alleine.

Absolut. Vor zwei Jahren haben wir die Klasnic-Kommission eingerichtet. Der Staat hat für seinen Bereich heute noch immer keine Kommission gegründet.

Das Problem hat zuletzt sehr viel Ihrer Zeit konsumiert. Wofür hätten Sie die lieber verwendet?

Es fehlt uns ein Diskurs über die Zukunft. Wir reden über kurzfristige Sparpakte. Aber wie sehen die Perspektiven für Ihre Kinder aus?

Sie haben gemeint, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt. Sprechen Sie das an?

Das Thema Umkehr ist das großes Zukunftsthema. In allen Lebensbereichen stoßen wir an Grenzen. Die Wachstumsperspektive der vergangenen Jahrzehnte ist radikal an eine Grenze gestoßen. Wie sieht eine Wirtschaft aus, die nicht unter dem Imperativ des Wachstums steht, weil das zumindest in großen Bereichen der Wirtschaft nicht mehr funktionieren wird? Wirtschaftswachstum als oberste Devise - kann das eine Zukunftsperspektive sein?

Wenn es kein Wachstum gibt, und wir nicht prüfen, ob nicht auch Sozialsysteme über ihre Verhältnisse gelebt haben, müssen wir weiter machen, bis die Steuerquote bei 100 Prozent liegt. Und was machen wir dann?

Schulden-Machen lebt von der Prämisse, die Schulden, die wir jetzt machen, könnten durch Wachstum überwunden werden.

Das wird nie funktionieren.

Ja eben. Das gelingt nicht.

Ohne Wirtschaftswachstum gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man verringert staatliche Ausgaben oder man erhöht die Steuern, was würden Sie für einen angemessenen Weg halten?

Sie werden von mir nicht Lösungen erwarten, wenn selbst Nationalökonomen erklären, sie wüssten nicht, wie wir aus dieser Situation kommen. Aber eines scheint sicher: Als Lösungen kommen ein großer Krach, eine Weltwirtschaftskrise oder hohe Inflation in Frage. In der Geschichte hat man sich auch in Kriege geflüchtet. Diese Perspektiven sind alles eher als erfreulich und deshalb müssen wir jetzt, wo es uns noch relativ gut geht - und ich fürchte, das wird nicht so bleiben -, vorrangig auf die Werte setzen, die man in schwierigen Zeiten braucht. Die Werte der Solidarität, des Zueinander-Stehens. Das große Thema für die nächsten Jahre ist: Wie lernen wir mit Verzicht umzugehen. Es wird Verteilungskämpfe geben. Wir benötigen, wenn wir die Korruptionsfälle betrachten, generell die klassischen elementaren Tugend, über die man sich etwas lustig gemacht hat: Die Tugend der Gerechtigkeit, der Wahrhaftigkeit, des Anstands, gewisse Dinge eben nicht zu tun.

Ist es ausreichend, wenn sich Politiker an die Gesetz halten?

Wenn es über dem Gesetze-Einhalten kein moralisches Grundgesetz gibt, ist die Demokratie sehr gefährdet. Wenn es keinen Genierer mehr gibt, dann geht es mit der Demokratie den Bach hinunter.

Sehen sie tatsächlich die Demokratie Österreichs in Gefahr?

Ich sehe zumindest einen dringenden Bedarf einer Demokratiepflege.

Wie könnte die aussehen?

Es gibt in der Wirtschaft vorbildliche Persönlichkeiten, die grundanständig sind.

In der Politik sehen Sie die nicht?

Ich setze voraus, dass es so etwas wie eine Selbstverständlichkeit dessen gibt, was man nicht tun darf.

Ist diese Selbstverständlichkeit vorhanden?

Ich muss das voraussetzen, weil ich sonst verzweifeln würde. Dass in der Politik viele von Skandalen betroffen sind, macht betroffen. Da braucht es einen entschiedenen Willen, dass so etwas nicht Platz haben darf. Schauen Sie nach Italien: Mit der Regierung Monti ist emotional eine Wende eingetreten. Es gibt in Österreich sehr viele gute, anständige Kräfte auf allen Ebene der Gesellschaft. Vertrauen ist die Grundlage des Wirtschaftens und der Politik.

Benötigt die Politik einen Verhaltenskodex?

Es gibt die zehn Gebote, es ist nicht verboten, sie zu kennen.

Braucht es einen Monti für Österreich?

Ich würde mir eine Allianz der weisen und erfahren Menschen wünschen. Wir brauchen einen Zukunftsdialog, an dem sich viele beteiligen. Der Absentismus, der sich gegenüber der Politik breit gemacht hat, ist eine Gefahr. Wenn es Schande, geradezu Fehlverhalten wird, sich politisch zu engagieren, ist unser Land gefährdet. Die guten Kräfte sollten gesammelt werden.

Noch einmal zur Kirche zurück: Bischof Egon Kapellari sieht in seinem Hirtenbrief die Einheit der Kirche in Gefahr. Teilen Sie diesen Befund?

Jein. Es gibt eine große Vielfalt in der katholischen Kirche. Natürlich gibt es die Möglichkeit, dass dieser Spannungsbogen bricht. Die Kirche wird zu monolithisch gesehen. Im Grunde ist jede Pfarre ein eigener Betrieb. Es gibt viel Selbstverantwortung. Darum ist sie krisenfest. Ich bin sehr hoffnungsvoll für Kirche und Gesellschaft. Es gibt viele Regenerationskräfte, die man nicht durch Zuschauen erste Reihe fußfrei mobilisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30. März 2012)

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