Spanien: Jung, hoch qualifiziert, arbeitslos

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Auf Jobsuche. Nirgendwo in der EU ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie in Spanien. Auch das geplante Reformpaket wird vorerst wenig daran ändern. Immer mehr Akademiker zieht es ins Ausland - auch nach Österreich.

Physiker, möchte man meinen, haben gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Auch Antonio blickte optimistisch in die Zukunft, als er 2003 sein Studium beendet hatte. Der 37-Jährige, der bis vor Kurzem in einer kleinen Ortschaft nahe Valencia gelebt hat, arbeitete fünf Jahre lang in der Forschung. Dann kam die Krise. Die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe, mittlerweile sind sie in keinem anderen EU-Land höher: Fast jeder vierte Spanier ist heute ohne Job.

Antonio traf es nicht ganz so hart. Aber er fand keine Stelle mehr, die seiner Qualifikation entsprach. Drei Jahre schlug sich der Familienvater als Vertretungslehrer für Mathematik durch. Er arbeitete oft parallel an mehreren Schulen und hatte einmal mehr, einmal weniger zu tun. Vielen Bekannten sei es ähnlich ergangen, sagt Antonio: „Gerade jene, die sich weitergebildet haben und Karriere machen wollten, haben viel verloren.“ Andere, die seit der Matura im selben Unternehmen arbeiten, hätten nach wie vor ihren Job.

Flucht der Gehirne.
Auf dem spanischen Arbeitsmarkt gibt es schon lange ein Zweiklassensystem: Die einen genießen das Privileg eines unbefristeten Vertrags, den Unternehmen nur ungern kündigen, da das spanische Recht überdurchschnittlich hohe Abfertigungen vorsieht.
Diese Regelung führt aber auch dazu, dass Betriebe mit Festanstellungen geizen. 25 Prozent der Beschäftigten haben derzeit einen Zeitvertrag, der nach Bedarf alle paar Monate erneuert wird. Zahlreiche befristete Verträge wurden in der Krise aufgelöst. Auch viele Akademiker – Spanien hat mit 30 Prozent eine der höchsten Akademikerquoten der EU - waren betroffen. Heute schaffen Uni-Absolventen oft erst gar nicht den Einstieg ins Berufsleben. Die Folge: „Fuga de Cerebros“ – die Flucht der Gehirne ins Ausland. Diese will der konservative Regierungschef Mariano Rajoy nun mit einer Arbeitsmarktreform eindämmen. So wird etwa der Abschluss unbefristeter Verträge steuerlich belohnt und die maximale Verlängerung von befristeten Verträgen auf zwei Jahre beschränkt. Allerdings wird auch der Kündigungsschutz gelockert und die maximale Abfertigung auf 24 Monatsgehälter halbiert. Um Stellenabbau zu vermeiden, können Unternehmer künftig sogar die Tarifverträge aussetzen.

Die Gewerkschaften sprechen vom „tiefsten Einschnitt in die Arbeitnehmerrechte seit Spaniens Rückkehr zur Demokratie“. Ihr Protest gipfelte am Donnerstag in einem 24-stündigen Generalstreik. Auch die Bevölkerung steht den Plänen der Regierung skeptisch gegenüber: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Metroscopia glaubt nur ein Viertel daran, dass so neue Jobs geschaffen werden.

Für Physiker Antonio kommen die Reformen zu spät: Er packte Anfang Oktober 2011 seine Sachen und setzte sich ins Flugzeug nach Österreich. Ein paar Tage später hatte er die Zusage für eine Stelle an der TU Wien – als Forscher in seinem Fachbereich Klimatologie. Antonios Frau Mónica zog mit den beiden kleinen Kindern einen Monat später nach. Eine baldige Rückkehr nach Spanien kommt für die Familie nicht infrage. „Ich will meine Chance in Österreich nützen“, sagt Antonio.

Merkel rührt die Werbetrommel. Deutsch hat er bereits vor zehn Jahren während eines Studienaufenthaltes in Linz gelernt. Viele Spanier holen das jetzt nach: Die spanischen Goethe-Institute berichteten 2011 von einer Steigerung der Nachfrage nach Deutschkursen um bis zu 60 Prozent. Das hat wohl auch damit zu tun, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel vor einem Jahr bei einem Besuch in Madrid kräftig die Werbetrommel für ihr Land gerührt hat: Facharbeiter und Ingenieure aus Euro-Krisenländer würde man mit offenen Armen empfangen.

Viele nahmen Merkels Einladung an: Allein im ersten Halbjahr 2011 erhöhte sich die Zahl der Zuwanderer aus Spanien in Deutschland auf 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Aus Griechenland zog es sogar 84 Prozent mehr nach Deutschland. Auf der Internetplattform Eures, über die EU-weit Jobs vermittelt werden, waren die fleißigsten Sucher im Vorjahr die Spanier mit fast 188.000 Anfragen.
Weit abgeschlagen folgen an zweiter Stelle die Italiener mit rund 100.000 Suchanfragen. Auch die Griechen zeigen – gemessen an der Bevölkerungszahl – reges Interesse: 25.000 Anfragen. Viele können wohl Geschichten wie Giorgios, 30, erzählen: Er hat ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und bekommt seit Jahren nur Absagen. Giorgios wohnt noch immer bei seinen Eltern in Athen. Jetzt will er auswandern – auch wenn er noch nie zuvor in seinem Leben im Ausland war.

Aus Österreich gibt es für das Krisenjahr 2011 noch keine Zuwanderungsstatistik, allerdings dürfte die Steigerung bei griechischen, italienischen oder spanischen Arbeitssuchenden nicht so hoch sein wie in Deutschland. Weder beim AMS noch bei der Industriellenvereinigung bemerkt man hier einen klaren Trend.

Allerdings zeigen immer mehr Spanier zumindest Interesse an einem Job in Österreich. Das berichtet der „Spanische Verein in Österreich“, der sich eigentlich hauptsächlich dem kulturellen Austausch widmet. Der Verein bekommt jede Woche mehrere Anfragen von Spaniern, die um Unterstützung bei der Arbeitssuche bitten. „Estoy buscando trabajo“ (Ich suche Arbeit) – so beginnen viele Einträge im Onlineforum. Da gibt es den 26-jährigen Touristikfachmann, der fünf Sprachen spricht. Oder den 24-Jährigen, der zwar keine berufliche Erfahrung hat, aber seit November in Barcelona einen Deutschkurs besucht. Einige fragen nach, ob in Österreich auch ungelernte Arbeiter ohne Sprachkenntnisse eine Chance haben.

Übertriebene Hoffnungen.
Laura, die seit Kurzem mit ihrem Mann in Wien lebt, erzählt, viele würden sich übertriebene Hoffnungen machen, seit spanische Medien vom „deutschen Jobwunder“ berichteten. Doch anders als in den 60er-Jahren werden diesmal keine einfachen Arbeiter gebraucht. Sie bleiben wohl der Arbeitsmarktsituation in Spanien ausgeliefert. Diese wird sich noch verschlechtern: Die Regierung erklärte kürzlich, dass heuer vermutlich weitere 630.000 Menschen ihren Job verlieren werden.

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