Zuwanderung: Österreich hofft – und das muss reichen

Die Sicherung unseres Sozial- und Pensionssystems beruht auf Wunschannahmen: Die qualifizierten Zuwanderer werden nicht kommen.

Die Spitzen der Bundesregierung stehen noch immer im Schmollwinkel, weil offenbar niemand die Genialität ihres Sparpakets erkennt. Aber glaubt man am Ballhausplatz wirklich, über die eigene Mutlosigkeit hinwegtäuschen zu können?

Zur Selbst- und Fremdtäuschung gehört jedenfalls auch folgende, weitgehend unbemerkte Wunschannahme der Regierung: Seit 2009 gehen alle offiziellen Berechnungen zum Pensionssystem von einer jährlichen Saldo-Zuwanderung von 32.100 Menschen bis 2060 aus – in Summe 1,6 Mio. Menschen. Die Pensionskommission zieht daraus erfreut den Schluss, dass sich der demografische Anstieg bei den Älteren im Bereich 65plus durch den Anstieg der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter kompensieren lässt.

Damit bestehe folglich bei den Pensionen auch kein Reformbedarf – Überraschung! Aber immerhin haben wir hier eine klare politische Ansage: Man will das Pensionsproblem durch massive Zuwanderung lösen! Doch die schlechte Nachricht lautet: Daraus wird nichts werden, denn die erhofften und einkalkulierten 1,6 Millionen Zuwanderer werden nicht kommen. Warum nicht?

Sehen wir uns nur einmal das Jahr 2009 genauer an: Da sind nicht 32.100 Personen nach Österreich zugewandert, sondern netto 20.596 Personen. Um 11.500 Personen zu wenig, um unseren Arbeitsmarkt zu bereichern und unsere Produktivität zu steigern.

Migrantenkinder als Störfaktoren

Tatsächlich dürften es noch deutlich weniger gut qualifizierte Personen sein, denn allein aus Drittstaaten sind 9349 Personen zugewandert, vor allem aus Gründen des Familienzuzugs. Von den 20.596 Personen, die 2009 eingewandert sind, kam die größte Gruppe mit 7168 Personen aus Deutschland; darunter viele Studierende, von denen einige nach ihrem Studium wieder heimkehren werden. Viele Zuwanderer kamen 2009 auch aus den ehemals kommunistischen Ländern, etwa 3354 Personen aus Rumänien. Diese Zahl wird aber künftig kleiner ausfallen, denn in den früheren Ostblockländern setzten ab 1990 die geburtenschwachen Jahrgänge ein. Von den heute 20-Jährigen gibt es also schlicht weniger und sie werden mit Sicherheit nicht alle nach Österreich kommen – vor allem dann nicht, wenn sich die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren in den Herkunftsländern verbessern. Lediglich 1745 Menschen kamen übrigens aus der Türkei.

Warum glaubt man also, durch Zuwanderung den Kollaps des Pensionssystems aufhalten zu können? Gibt es ein politisches Bekenntnis zur aktiven, gesteuerten Zuwanderung? Nein. Führen wir eine offene Debatte darüber? Nein. Bereiten wir uns auf diese beachtliche Zuwanderung vor? Nein. Setzen wir Anreize, damit gut qualifizierte Personen gerade nach Österreich kommen? Nein.

Vielmehr versucht die Politik gerade erst, mit den Auswirkungen der bisherigen Zuwanderung zurechtzukommen. In unserem Bildungssystem werden Kinder mit Migrationshintergrund immer noch als Störfaktoren gesehen. Die Regierung suggeriert also vielmehr, dass jetzt eh Schluss sein wird mit der Zuwanderung.

Das ist kein Wunder und trifft sich gut in einem Land, in dem Zuwanderung – auch dank des jahrzehntelangen Trommelfeuers der FPÖ – vor allem als Bedrohungsszenario wahrgenommen wird. Laut einer Sora-Umfrage glauben mittlerweile vier von zehn Wienern, dass „Muslime in Österreich den Staat unterwandern und immer mehr Macht bekommen“, bei den Pensionisten sind es knapp sechs von zehn.

Und jetzt soll Werner Faymann dem Boulevard verkaufen, dass wir 1,6 Millionen Zuwanderer bis 2060 brauchen, um unser Sozial- und Pensionssystem zu sichern? Dass wir bereits fix mit ihnen rechnen (denn alle unsere Berechnungen beruhen darauf)? Nein, so mutig ist Faymann nicht. Und hinter ihm versteckt sich sein Vize Michael Spindelegger.

Beide hoffen und verhalten sich still. Die Politik handelt nach dem von Jörg Mauthe beschriebenen „Als-ob-Prinzip“, das im Kern bedeutet: „Wir tun so, als ob und rechnen fest damit, dass sich die Realität schon danach richtet.“

Während andere EU-Länder längst von einem Schrumpfungsszenario der eigenen Bevölkerung ausgehen, rechnet Österreich für sich mit dem Gegenteil. Warum? Weil wir von jenen 32.100 gut ausgebildeten Personen ausgehen, die ohne Anreize und ohne Planung in unser Land strömen werden.

Folgen einer Schrumpfung

Die Deutsche Bertelsmann-Stiftung hat unlängst drei Folgen einer Schrumpfung der Bevölkerung definiert: den Verschuldungsaspekt – bei einer Schrumpfung verteilen sich die Schulden auf weniger Köpfe; den Rückgang des Wirtschaftswachstums – weniger Köpfe bedeuten weniger Produktivität; schließlich die ungelöste Frage der Sicherung der Sozialsysteme. Aber bitte, Österreich muss sich damit nicht befassen, wir schrumpfen ja nicht, zu uns kommen 32.100 gut ausgebildete Zuwanderer jährlich.

Aber immerhin wurden seit Juli 2011 rund 1018 Anträge für eine Rot-Weiß-Rot-Karte positiv entschieden. Nach Beschäftigung dominieren dabei Techniker und Manager. Das ist schön, aber ein Tropfen auf den heißen Stein.

Österreich döst, Deutsche werben

Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist ein Schritt in die richtige Richtung. Darauf scheint sich die Regierung jetzt bis 2020 auszuruhen. Bis dahin verschärft die Politik mit Blick auf den rechten Rand noch fleißig die Zuwanderungs- und Aufenthaltsbedingungen. Während Deutschland über die Goethe-Institute in Südeuropa bei jungen Menschen mit Deutschkursen und erleichterten Aufnahmekriterien wirbt, döst Österreich vor sich hin. Wir hoffen, das muss reichen.

Dieses Land wird von einer politischen Klasse regiert, die Probleme schönredet, aber in Wahrheit ignoriert. Faymann warnt vor „blauen Hetzern“, überlässt ihnen durch seine Untätigkeit aber das Feld. Die Grünen diskutieren lieber darüber, ob man Migrationshintergrund sagen darf oder nicht. Die ÖVP hat zwar einen Integrationsstaatssekretär, der angesichts drängender Herausforderungen aber ein König ohne Land ist.

Mutige Politik wäre entweder eine weitreichende Pensionsreform oder ein nationaler Aktionsplan für aktive Zuwanderung. Auch folgender Appell könnte nicht schaden: „Liebe Zuwanderer, bitte lasst Euch nicht verschrecken. Ja, unsere politische Klasse lässt komplett aus und unser Bildungssystem ist beim Aufstieg eher hinderlich als förderlich. Aber die Luft ist gut, die Berge sind schön, das Land ist trotz FPÖ noch sicher – und vor allem: Wir brauchen Euch, sonst können wir uns unsere Pensionen aufzeichnen!“

Zu den Autoren


E-Mails an: debatte@diepresse.comChristina Aumayr-Hajek, geboren 1977 in Linz, studierte in Wien Publizistik, Philosophie und Psychologie. Die Kommunikationswissenschaftlerin war drei Jahre lang in Hamburg als PR-Beraterin tätig und kehrte 2005 als Ministersprecherin nach Wien zurück. 2008 gründete sie ihr Beratungsunternehmen Freistil PR. [Privat]
Daniel Kapp,
geboren am 28. April 1968 in Kigali, Ruanda, wuchs in Sambia, Burma und Malaysia auf und studierte Geschichte in Wien. Er arbeitet als Direktor in einer internationalen Unternehmens- und Strategieberatung. Zwischen 2000 und 2011 war Kapp Pressesprecher verschiedener österreichischer Regierungsmitglieder, zuletzt von Vizekanzler Josef Pröll. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2012)

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