Ägypten: Kandidat der Muslimbrüder für Einführung der Scharia

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Im Präsidentschaftswahlkampf schwankt die Muslimbruderschaft zwischen konservativen Ansagen und internationalen Charmeoffensiven. Sich nicht eindeutig zu positionieren, war immer eines ihrer Markenzeichen.

Kairo. Was tun, wenn man versucht, eine islamisch-konservative Wählerschaft auf seine Seite zu ziehen und gleichzeitig das Bild einer moderaten islamischen Partei behalten will? Das ist das Dilemma der ägyptischen Muslimbruderschaft, seit sie am Wochenende mit dem Multimillionär Kairat el-Shater einen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im Mai ins Rennen gebracht hat.

Dessen größter Konkurrent ist derzeit der salafistische TV-Prediger Hazem Abu Ismail, dem eher ein saudisches Politikmodell vorschwebt und der seit Wochen als Wächter der islamischen Werte und der Scharia Wahlkampf betreibt. Die Salafisten haben bereits angekündigt, in der Verfassung „die Scharia als einzige Grundlage der ägyptischen Gesetzgebung“ festzuschreiben.

Schwenk der Muslimbrüder

Nun versuchen auch die Muslimbrüder bei den islamistisch-konservativen Wählern auf Fang zu gehen. Bisher sind die Muslimbrüder eher eine gemäßigtere Linie gefahren. Sie haben versichert, keine Theokratie in Ägypten schaffen zu wollen und sich mit dem gegenwärtigen Artikel 2 der ägyptischen Verfassung zufriedengeben zu wollen, der in den letzten vier Jahrzehnten bereits festgelegt hat, dass „die Prinzipien der Scharia die Grundlage der ägyptischen Gesetzgebung“ darstellen soll.

Rechtsgelehrte sollen mitreden

Doch nun schlagen die Muslimbrüder zumindest in den Hinterzimmern des Wahlkampfes andere Töne an. Ihr Kandidat Kairat el-Shater hat bei einem Treffen mit einer Gruppe salafistischer Predigern namens „Juristische Kommission für Rechte und Reformen“ am Dienstag erklärt, dass islamische Rechtsgelehrte in Zukunft bei der Schaffung der Gesetze mitreden sollten, ob diese mit der Scharia konform sind.

Damit soll, so el-Shater, „sein erstes und letztes Ziel, die Einführung der Scharia sichergestellt werden“, wird er in einer Erklärung der Kommission zitiert. Die Muslimbruderschaft hat nach dieser Zusammenkunft nicht erläutert, ob ihr Kandidat damit tatsächlich eine Art iranisches System meint, in dem ein islamischer Wächterrat alle Gesetze des Parlaments kippen kann.

Die Muslimbruderschaft hat eine ähnliche Forderung schon einmal 2007 in einer politischen Plattform aufgestellt. Damals hat man sich intern gestritten, ob die Rechtsgelehrten nur beratend wirken oder tatsächlich Gesetze kippen könnten. Am Ende hat die Muslimbruderschaft die Plattform auch wegen des Aufschreis der anderen politischen Gruppierungen verworfen.

Während die Muslimbruderschaft jetzt versucht, durch scharfe Worte salafistische Wähler auf ihre Seite zu ziehen, gibt sie sich andernorts moderat. Bei einer Delegationsreise nach Washington, die die Muslimbrüder selbst als „Charmeoffensive“ bezeichnen, hat Sondus Essam, der Chef der englischsprachigen Webseite der Muslimbrüder, „Ikhwanweb“, versucht, Befürchtungen zu zerstreuen, dass die Partei das politische Monopol an sich reißen und einen islamischen Staat gründen könnte.

„Unsere Prioritäten sind die Wirtschaft, die Forderungen der Revolution nach sozialer Gerechtigkeit, Bildung, Entwicklung und die Sicherheit aller“, erklärte Essam vor einer Gruppe amerikanischer Redakteure. Von Scharia war keine Rede.

Kein Monopol der Salafisten

Sich nicht allzu eindeutig zu positionieren, war immer eines der Markenzeichen der Muslimbruderschaft – meist im Zusammenspiel mit der jeweiligen politischen Macht.

Auch im Präsidentenwahlkampf wird sie bis zur Entscheidung Ende Mai wahrscheinlich sehr unterschiedliche Töne anschlagen. Den konservativen Wählern möchte sie zeigen, dass nicht die Salafisten das Monopol als Wächter des Islam in der Politik besitzen. Gleichzeitig will man aber die liberaleren Wähler und das Ausland nicht verschrecken.

Auf einen Blick

Kairat el-Shater ist der Präsidentschaftskandidat der ägyptischen Muslimbrüder.
Der Unternehmer erregte diese Woche mit seiner Aussage Aufmerksamkeit, dass sich die Muslimbrüder die Einführung der Scharia als Ziel gesetzt hätten. Auch sollen islamische Rechtsgelehrte mitbestimmen können, ob ein Gesetz Scharia-konform ist oder nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2012)

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