Der Mythos von der deutschen Schuld am Krieg

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Welchen Einfluss hatte die von Bonn betriebene Anerkennungspolitik auf den Zerfall Jugoslawiens und somit auf den Bosnien-Krieg, dem folgenschwersten Krieg in Europa nach dem Ende des 2. Weltkrieges 1945?

Die Wahl des Datums war natürlich eine Steilvorlage für Verschwörungstheoretiker: Der 6. April, jener Tag, an dem die EG 1992 Bosnien-Herzegowina als unabhängigen Staat anerkannte, hatte in Südosteuropa eine gravierende historische Konnotation: Am 6. April 1941 startete Nazi-Deutschland mit seinen schweren Luftangriffen gegen Jugoslawien den Balkanfeldzug.

Viel unsensibler kann man mit historischen Daten nicht umgehen, einerseits. Andererseits wollte man in den europäischen Regierungskanzleien offenbar angesichts der sich zuspitzenden Lage „auf dem Boden“ keine Zeit verlieren. Hatte man gar die Lehren aus Kroatien gezogen und wollte mit der Anerkennung nicht noch einmal so lange warten, bis ein Land in Schutt und Asche lag? Das wäre vermutlich eine nachträgliche Beschönigung, doch mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens per 15. Jänner waren die Schleusen ohnehin geöffnet, der Weg zu weiteren Anerkennungen vorgezeichnet.

Und das führt zu einem bis heute von einer merkwürdigen Koalition aus serbischen Ultranationalisten und Antiimperialisten gepflegten Mythos: Schuld am Bosnien-Krieg, dem folgenschwersten Krieg in Europa nach 1945, sei die von Deutschland vehement betriebene (und von Österreich unterstützte) Anerkennung Sloweniens und Kroatiens und im Gefolge Bosnien-Herzegowinas gewesen.

Izetbegović: Sonst gibt es Krieg

Diese Theorie ist ein Teil des größeren Mythos, wonach nicht etwa interne Faktoren zum Zerfall Jugoslawiens geführt hätten, sondern Deutschland durch seine Anerkennungspolitik Titos Reich vielmehr zerschlagen hätte. Ein Mythos, den ein kurzer Blick auf die historischen Abläufe widerlegt. Vor zwei Jahren hat ihn, mit besonderem Augenmerk auf Bosnien, der angeklagte bosnische Serbenführer Radovan Karadžić vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien aufgewärmt.

Für den Südosteuropa-Historiker Alojz Ivanišević von der Universität Wien spricht nichts dafür, dass die Anerkennungen den Bosnien-Krieg ausgelöst haben: „Was hätte es gebracht, Kroatien und Slowenien nicht anzuerkennen? Es ist durch nichts zu belegen, dass es deswegen weniger Gewalt gegeben hätte“, sagt Ivanišević zur „Presse“.

Gleichwohl hatten die Geschehnisse in Kroatien und Slowenien massiven Einfluss gehabt: „Bosnien-Herzegowina hätte sich nicht für unabhängig erklärt, wenn die anderen Teilrepubliken das nicht getan hätten“, sagt Albert Rohan, ehemals Generalsekretär im Wiener Außenamt und Balkankenner, im Gespräch mit der „Presse“. Dies hat Bosniens Muslime und Kroaten unter Zugzwang gebracht.

Der (muslimische) Republikspräsident Bosniens, Alija Izetbegović, habe die Situation 1991 gegenüber europäischen Diplomaten realistisch eingeschätzt und noch in letzter Minute eine Konföderation vorgeschlagen, berichtet Rohan: „Er war sich völlig im Klaren, dass es sonst Krieg geben wird, wenn die Staatengemeinschaft nicht eingreift.“ Aus diesem Grund habe Österreichs damaliger Außenminister Alois Mock im Herbst 1991 UN-Generalsekretär Perez de Cuellar um die Entsendung von Friedenstruppen gebeten. Die lapidare Antwort aus New York: Dies könne es nur nach einem Krieg geben.

Feindbild gegen Feindbild

Der zeichnete sich – nach der Blaupause Kroatiens – indes schon am Horizont ab: Bereits im September 1991 hatten sich serbische Gemeinden in Bosnien für autonom erklärt, im Jänner 1992 schließlich wurde eine „Serbische Republik in Bosnien-Herzegowina“ proklamiert.

Die EG versuchte unter Führung des portugiesischen Außenministers José Cutilheiro zu vermitteln, der eine Unterteilung Bosnien-Herzegowinas in drei Entitäten vorsah, und sozusagen das, was durch die militärischen Erfolge der bosnische Serben später auf dem Schlachtfeld geschehen sollte, auf der Landkarte vorwegnahm. Izetbegović lehnte den Plan denn auch ab.

Nach einem weiteren fruchtlosen Vermittlungsversuch entschlossen sich die Europäer und quasi zeitgleich auch die USA zur Anerkennung, diesmal war auch Frankreich von Beginn an dafür, das bei Kroatien und Slowenien noch gebremst hatte. Zweifellos hat diese Anerkennung Bosniaken und Kroaten den Anreiz zu Zugeständnissen genommen. Doch sie als kriegsauslösend zu sehen, unterstellt einen Automatismus, wonach den bosnischen Serben bzw. der Bundesarmee dann ja nichts anderes mehr übrig geblieben wäre, als zu den Waffen zu greifen.

Historiker Ivanišević sieht hinter den Theorien von der deutschen Schuld qua Anerkennung vor allem Kräfte, die Jugoslawien zu sehr idealisierten. Ein prominentes Beispiel dafür ist Peter Handke: „Wenn jemand ein Feindbild bekämpft und Gerechtigkeit für Serbien fordert, dabei aber eine Menge neuer Feindbilder pflegt, ist das schon sehr problematisch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2012)

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