Die italienischen Verhältnisse Österreichs

Österreich und seine Parteienlandschaft ähneln in manchem dem Italien der frühen 1990er-Jahre. Und sind doch leider und/oder zum Glück ganz anders.

Die Untergangslust ist in diesen Monaten stets präsent. Da wäre etwa der Schauer, die Katastrophenstimmung angesichts des taumelnden Finanzmarkts, der sich gerade im teuren europäischen Rehabilitationszentrum dank medikamentöser Intensivbehandlung besser fühlt: Und wieder einmal versinkt unser aktuelles Abendland. Ein Befund ist dieser Tage oft zu hören: Österreich ähnle, so der zeitgeschichtliche Schnellsiedevergleich, dem Italien der frühen 1990er-Jahre.

Damals ging dort mit der Democrazia Cristiana das bis dahin bekannte Parteiensystem mit Parteichef und Kassier unter wie die Titanic vor ziemlich genau hundert Jahren. Es folgte die Zersplitterung der Parteienlandschaft, kleine und neue Bewegungen witterten Morgenluft. Gegen den Sumpf aus Korruption, Verschwörungen und den dazupassenden Theorien trat eine Gruppe von Staatsanwälten unter dem Titel „Mani Pulite“ medienwirksam und durchaus heilsam auf – und konnte dennoch nicht viel mehr tun, als einem Silvio Berlusconi den Weg zu bereiten.

In Österreich sei das derzeit ähnlich, lautet das wohlig-schaurige Szenario. Die ÖVP sei dank Telekom-Selbstbedienung endgültig im freien Fall, und die SPÖ werde sicher bald wegen ihrer Inseratenkarriere oder anderer lange Zeit schweigend geduldeter Unsitten – man denke an das Wiener SPÖ-Medienkonglomerat – folgen. Noch eine Parallele zu Italien gäbe es: Fast ein Dutzend Kein- und Kleinstparteien scharren in den Startlöchern. Auch wenn deren Chancen auf Einzug in den Nationalrat überschaubar sind, für italienische Verhältnisse made in Austria reicht das doch schon.

Allein, die Situation ist vielleicht ähnlich ernst, aber doch ganz anders. Das ist gut und schlecht zugleich.


Da wäre einmal der unzulässige Vergleich der Democrazia Cristiana mit der ÖVP. Im Gegensatz zum römischen Sumpf hat die politische Kaste der Volkspartei – mit der mutmaßlichen Ausnahme Ernst Strassers – nicht versucht, sich mittels persönlicher Bereicherung Villen in Nordafrika oder anderswo zu beschaffen und sich ein mondänes Leben zu sichern. Sondern wollte mittels tollpatschig-dreister Parteienfinanzierung durch halb staatliche Unternehmen die Partei und ihre schwächelnden Bünde mit Parteizeitungen versorgen, die zwar keiner liest, aber den Funktionären eine Bedeutung verschaffen sollen, die sie nicht mehr haben. Das Problem der ÖVP lautet also vielmehr, Regierungspartei um jeden Preis, also auch ohne politische Vision, zu bleiben. Das spüren die Wähler und wenden sich ab.

Dann wäre da noch das Fehlen eines Di Pietro, jenes Staatsanwalts, der in Italien für die Aufdeckung der Skandale sorgt. Peter Pilz hält sich zwar für einen solchen Helden, aber die Justiz wird dem Selbstdarsteller nicht folgen. Übrigens ist auch – vermutlich zum Glück – kein Silvio Berlusconi in Sicht. Selbst Eva Dichand, die sich dank ihrer U-Bahn-Zeitung und Nähe zur „Krone“ viel zutraut, wird eine Parteigründung hoffentlich nicht schaffen. Das würden schon ihre Freunde in der SPÖ nicht zulassen.

Also fehlt jede Art von Katharsis, die, siehe Italien, auch kein Garant für Besserung wäre, in Österreich aber wohl jeder Wähler offen oder insgeheim ersehnt. Die Vorstellung, dass nach der nächsten Wahl Werner Faymann und Michael Spindelegger einfach weiter regieren, nur dann noch schwächer, lässt auch SPÖ- und ÖVP-Funktionäre zu Recht schaudern.

Bleiben die neuen Parteiabenteurer, die vielleicht antreten und die Vier-Prozent-Hürde überwinden wollen: In der derzeitigen Situation muss man jedem applaudieren, der sich diese Ochsentour antun will. Dabei ist es ziemlich egal, ob es sich um politisch völlig unbedarftes IT-Fachpersonal handelt, das plötzlich unter dem Titel „Piraten“ auftritt. Oder um in den eigenen Parteien gescheiterte Altpolitiker wie Johannes Voggenhuber und Erhard Busek. Oder gar Frank Stronachs großmannsüchtige Liberal-Gehversuche mit einem Rest-BZÖ, die in diesem Land noch nie weit gingen. Sie zwingen SPÖ und ÖVP zu irgendeiner Reaktion, kosten sie im Kanon vielleicht sogar die gemeinsame Mehrheit. Alles, was dort zu einer echten Veränderung führt, ist hilfreich.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2012)

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