Die schwarze Schräge von Elfriede Jelinek

schwarze Schraege Elfriede Jelinek
schwarze Schraege Elfriede Jelinek(c) EPA (GEORG HOCHMUTH)
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Stefan Bachmann gelingt eine meisterhafte Inszenierung des Stücks "Winterreise": Diese österreichische Erstaufführung hat fantastische Bilder und Schauspieler, die den komplexen Text tönen lassen.

Die späten Dramen der Dichterin Elfriede Jelinek sind keine leichte Lektüre. Sie stecken voller Philosophie des Seins und handeln Beängstigendes ab: Eingesperrtsein, Missbrauch, Korruption, sexuelle Unterdrückung, Vergessen. Eines der rührendsten, persönlichsten dieser Werke ist „Winterreise“, das 2011 in München uraufgeführt wurde. Nun hat sich der Hausregisseur der Burg, Stefan Bachmann, der demnächst Intendant in Köln wird, an dem dunklen Text versucht. Seine auf 110 Minuten verknappte Version ist grandios. Am Donnerstag gab es die österreichische Erstaufführung am Akademietheater.

Die Bühne (Olaf Altmann) ist eine steile, schwarze Schräge mit geschätzten 45 Grad, auf der sich die Schauspieler an Seilen hängend bewegen, in der ein dichterisches Ich mittendrin in einem Loch steckt. Hier gibt es nichts Überflüssiges, der Abend bietet einen idealen Einstieg in diese Dichtung. Scherz, Satire, romantische Ironie und tiefere Bedeutung sind in Balance. Zudem regiert Schubert Jelineks „Winterreise“ – ein kongenialer Rahmen, mit Felix Huber am Piano und dem Sänger Jan Plewka, der mit brüchiger Stimme Lieder aus dem Zyklus vorträgt, wie desillusionierte Rockballaden.

Die Aufführung beginnt mit dem einsamen Lamento einer unförmigen, bis auf den Schmuck nackten Frau, die aus einem Loch guckt. Barbara Petritsch ist im Fettkostüm fast nicht zu erkennen, sie spielt überragend. Schon bricht sie aus ihr heraus, die immer gleiche Leier vom Fortgehen, vom Vergehen der Zeit, vom Verschwinden. Der Text ist mutig gekürzt, doch bleibt das Wesentliche erhalten. Schon kriecht diese bizarre Erzählerin zurück, ins Dunkle. „Gute Nacht.“ „Fremd bin ich eingezogen.“

Nach diesem musikalischen Zwischenspiel turnen Dorothee Hartinger, Melanie Kretschmann, Simon Kirsch und Gerrit Jansen an den Seilen. Sie wollen wieder rauf. Es geht um Gewinn, um Finanzskandale. Dieser Drahtseilakt ist perfekt abgestimmt, wie der ganze Abend. Der wandelbare Jansen erregt vor allem als frisch geschmückte Braut Heiterkeit. Darunter spürt man aber auch Wehmut. Hartinger ist an der Wand so beweglich wie später in einem ungeheuren Sprachstakkato. Fast schwerelos trotzt sie der Gravitation. Und schon ertönen wieder Schuberts Musik und Müllers Text eines Flüchtigen: „Die Wetterfahne“, rasch abgelöst von den nächsten Episoden, die etwas verhetzt aussehen. Es geht um die Frage, „wie viel Zeit mir noch bleibt“.

Im tiefen Loch des Vergessens

All diese Personen sind aus der Zeit gefallen. Das Schicksal eines entführten Mädchens in ihrem Verlies wird angesprochen (dabei ist die Bühne leer, die Giftstimmen kommen aus dem Off), das finale Leiden von Jelineks Vater. Ehefrau und Tochter besuchen ihn in der Anstalt, ganz knapp ist diese in der Buchausgabe ausführliche Szene gehalten, aber sie wirkt dadurch nicht minder eindrucksvoll. Nun steckt Rudolf Melichar im Loch, klammert sich vergeblich an Erinnerung. Die Souffleuse hilft laut aus, wenn die Worte verloren gehen, es wirkt bestürzend echt, wie dieser Alte sich in seinem letzten Labyrinth verirrt. Immer wieder provoziert die Inszenierung ein Lachen, das aber bleibt einem in dieser ausweglosen Situation eines Demenzpatienten im Halse stecken, bis das nächste Lied trösten und helfen soll. „Von der Straße her ein Posthorn klingt.“ Noch einmal dann die alte Leier von Petritsch, die jetzt passend in wilder Übertreibung spielt.

Am Ende aber wird gerade die Musik zur Waffe des Terrors. Wintersportler erobern die schiefe Ebene, den Zielschuss. Es beginnt, Eis zu regnen. Mit Skiern, Rodel oder Snowboard geht es frisch-fröhlich auffi und obi, begleitet von Schlagermusik. Wunderkerzen werden angezündet. Partygrölen hebt an: „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ – grausamer könnte der Kontrast zu Schuberts „Winterreise“ nicht sein. Leerer Schall, bis zum Erbrechen. Nun läuft Kretschmann zuckend zur Höchstform auf. So ähnlich muss es in der Hölle zugehen, die man sich selbst bereitet hat.
Termine: 9., 17., 22. April., 16., 18., 21. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2012)

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