Der offene Brief im Wortlaut

Peter Paul Kaspar, Akademikerseelsorger in Linz, Autor, Musiker, Vorstandsmitglied der Pfarrerinitiative, hat den „Aufruf zum Ungehorsam“ mitformuliert und nun einen offenen Brief an Kardinal Christoph Schönborn verfasst:

Der offene Brief im Wortlaut

Sehr geehrter Herr Kardinal!

Wir - der Vorstand der Pfarrerinitiative - haben uns um Pfingsten 2011 in einem „Aufruf zum Ungehorsam" gemeldet, weil wir unsere dringenden Reformwünsche öffentlich machen wollten. Das ist uns inzwischen sogar weltweit und bis zur Gründonnerstagspredigt des Papstes gelungen. Die jahrzehntelang intern vorgebrachten Vorschläge und Anregungen wurden ja bisher stets höflich zu den Akten befördert. Wir haben hier eine Provokation riskiert, die zwar bestens funktioniert hat, jedoch Ihr Amtsverständnis als Hierarch so sehr verletzt, dass Sie seither beharrlich die Revision eines einzigen Wortes verlangen: Ungehorsam. Um es offen zu sagen: Das Reizwort war der Türöffner - es hat uns den weltweiten Diskurs ermöglicht. Dass Sie noch immer die Revision der Überschrift urgieren, statt die Inhalte zu diskutieren, sagt viel über Ihr Autoritätsverständnis aus: Sie beziehen den Gehorsam, den wir Gott, seiner Weisung und dem Gewissen schulden, auf sich - auf Sie persönlich und auf Ihr Amt.

Sie haben auch in keiner bisher bekannt gewordenen Stellungnahme erkennen lassen, dass ein christlicher Gehorsam kein bloß äußerlicher Befehlsgehorsam ist, sondern zum „Hinhorchen" - davon kommt auch das Wort - auf das eigene, gebildete und verantwortete Gewissen führen soll. Bei dieser Gewissensbildung spielt für einen katholischen Priester auch die Weisung des vorgesetzten Bischofs eine gewisse, jedoch keineswegs die erste Rolle: „Gott mehr zu gehorchen als den Menschen," lautet die biblische Regel. Einige von uns haben bei Gesprächen mit den zuständigen Diözesanbischöfen - trotz einzelner Meinungsverschiedenheiten - Offenheit und Vertrauen schätzen gelernt. Wir nehmen an, dass das auch in Ihrer Wiener Diözese ähnlich möglich ist. Ihre Mitarbeiter öffentlich zum Widerruf eines einzigen Wortes aufzufordern, erscheint uns doch ein allzu schlichtes Modell, mit Meinungsverschiedenheiten umzugehen. Und für die vielen Priester der Pfarrerinitiative aus anderen Diözesen sind Sie ja gar nicht zuständig.

Dieser - vielleicht unbequeme - Brief soll jedoch mit einer anerkennenden Bemerkung schließen: Sie haben einen mit großer Mehrheit gewählten - homosexuellen - Pfarrgemeinderat zu einem Gespräch gebeten, weil er in eingetragener Partnerschaft mit seinem Lebensgefährten lebt. Und sie haben die Entscheidung der Pfarre gebilligt. Es ist möglich, dass Sie dafür von einer römischen Instanz getadelt werden. Und Sie haben das offensichtlich in Kauf genommen und wollen nun zu Ihrem „Ungehorsam" stehen. Dass Sie dabei den gehorsamen Pfarrer öffentlich bloßstellten, ist allerdings ein kleiner Schönheitsfehler. Trotzdem sehen wir in Ihrer Entscheidung ein erfreuliches Beispiel, wie ein Bischof in seinem Amt dem Gewissen gehorcht, obwohl das Kirchenrecht oder die römische Weisung Anderes vorsieht. Wir wollen Ihren „Ungehorsam" gern als die erfreuliche Selbstverantwortung eines - im wörtlichen Sinn - „gewissenhaften" Amtsträgers ansehen.

Mit dieser hoffentlich erfreulichen Einsicht sei Ihnen für Ihre sicherlich schwierige Amtsführung Gottes Segen gewünscht!

Prof. Peter Paul Kaspar, Akademiker- und Künstlerseelsorger der Diözese Linz

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