Die SPÖ zwischen Paris und Innsbruck

Vom Klassenkampf noch nicht ganz los-, in der Wettbewerbsgesellschaft noch nicht ganz angekommen: die österreichische Sozialdemokratie des Jahres 2012.

Unter der Regierung Lionel Jospin wurde 1998 in Frankreich von der damaligen Arbeitsministerin Martine Aubry, der heutigen Parteichefin der Sozialistischen Partei Frankreichs, die 35-Stunden-Woche eingeführt. Maßgeblichen Experten zufolge ist dies einer der wesentlichen Gründe dafür, dass Frankreich heute in seiner Wettbewerbsfähigkeit vielen anderen europäischen Ländern hinterherhinkt – vor allem Deutschland, das nach der Wiedervereinigung und vor dem Wirksamwerden der Arbeitsmarktreformen Gerhard Schröders noch als „der kranke Mann“ Europas gegolten hat.

Unter Linken und Linksliberalen gab es damals, Ende der Neunziger-, Anfang der Nullerjahre, eine heftige Debatte darüber, ob man nun dem Weg Gerhard Schröders (oder Tony Blairs) zuneigen sollte. Oder doch lieber jenem von Jospin. Die Pragmatiker entschieden sich für ersteren, die Traditionalisten für zweiteren. Wie es aussieht, tendiert die Führung der österreichischen Sozialdemokratie des Jahres 2012 – obwohl Schröder nachträglich recht behielt – eher zum französischen Modell.

Wobei „Führung“ relativ ist. Das Projekt findet unter Federführung von Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas und dem Leiter der SPÖ-Parteiakademie, Karl Duffek, statt. Was Parteivorsitzender Werner Faymann davon hält, weiß man noch nicht. Man wird aber davon ausgehen müssen, dass es viele Genossen derart zukunftsweisend finden werden – vor allem jene, die daran mitgearbeitet haben –, dass sich Faymann möglicherweise schwertun wird, sich davon zu distanzieren.

Die Rede ist von „Österreich 2020“, einer Art „Perspektivengruppe“ der SPÖ – wobei man diesen Begriff, der Assoziationen zum Koalitionspartner weckt, in der Löwelstraße gar nicht gern hört –, bei der noch nicht ganz klar ist, ob das Erdachte dann auch in ein neues Parteiprogramm einfließt oder nur das Wahlprogramm für die Nationalratswahl 2013 darstellt. Wie auch immer: Einer der Punkte zielt auf eine Reduzierung der Arbeitszeit ab. Noch ist nicht bekannt, auf welche Stundenanzahl die derzeitige Wochenarbeitszeit von 40/38,5 Stunden verkürzt werden soll, es würde aber nicht verwundern, würde am Ende der Slogan „35 Stunden sind genug“ stehen. Festhalten dürfte die SPÖ im (derzeit noch nicht) endredigierten Papier von „Österreich 2020“ zudem an ihren Forderungen nach mehr vermögensbezogenen Steuern. Wesentlich interessanter klingt jedoch der Vorschlag, die Einkommensteuer und die Sozialversicherungsbeiträge zu einer einheitlichen Abgabe zusammenzuführen.

Eines schimmert jedenfalls jetzt schon durch: Ganz hat sich die SPÖ vom Klassenkampf noch nicht verabschiedet und ganz ist sie in der Wettbewerbsgesellschaft noch nicht angekommen. Den erwirtschafteten Wohlstand besser zu verteilen – mit diesem Ziel war die Sozialdemokratie einst angetreten. Doch dieser muss bekanntlich erst erarbeitet werden. Wobei das Land und seine Unternehmen mehr denn je im internationalen Wettbewerb stehen. Der Sozialdemokrat Gerhard Schröder hat das einst verstanden. Und die Genossen vom Deutschen Gewerkschaftsbund konnten das – murrend, aber immerhin – auch irgendwie nachvollziehen. Wobei man sagen muss: Auch der Österreichische Gewerkschaftsbund hat sich 2009 leise, aber doch, von der Forderung nach einer 35-Stunden-Woche verabschiedet.

Im Wettbewerb der Parteien hatte die SPÖ vergangenen Sonntag das Nachsehen: Bei allen lokalen Eigenheiten – zu denken geben muss der SPÖ das Ergebnis der Innsbrucker Gemeinderatswahl sehr wohl. Die Kanzlerpartei nur an vierter Stelle – hinter den Grünen. Und vorneweg gleich zwei ÖVP-Listen. Das ist jene Partei, der gern vorgehalten wird, in den urbanen Zentren nicht reüssieren zu können.

Doch gerade in den bürgerlichen und von ihrer sozialen Struktur her immer bürgerlicher werdenden Städten in den Bundesländern hat die SPÖ ein Problem. Da stimmen die Wähler lieber für bürgerliche(re) Listen, Grüne oder Piraten. Mit einer SPÖ, die etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheint, fangen sie anscheinend wenig an. Klassenkampfparolen werden daran nichts ändern – ganz im Gegenteil.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2012)

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