Vom Banken- bis zum Wikirating

Die Umsetzung einer europäischen Ratingagentur erweist sich noch als schwierig
Die Umsetzung einer europäischen Ratingagentur erweist sich noch als schwierig(c) AP (Michael Probst)
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Bonitätsbewertung. Die US-dominierten Ratingagenturen stehen massiv in der Kritik. Aber wie könnten europäische Alternativen aussehen? An Ideen dafür mangelt es nicht, die Umsetzung erweist sich zum Teil noch als schwierig.

Die großen Ratingagenturen „Standard & Poor's“ (S&P), „Moody's“ und „Fitch“ beherrschten in letzter Zeit die Wirtschaftsschlagzeilen. Vernichtende Länder- und Unternehmensratings versetzten Anleger und Politiker in Panik, die Refinanzierungskosten für Betroffene schnellten hoch.

Wie viel das zu so manchem Beinahestaatsbankrott beigetragen hat, ist umstritten – wenn es auch problematisch ist, nun die Verantwortung für die Folgen ausufernder Staatsschulden weitgehend den Ratingagenturen zuschieben zu wollen. Dessen ungeachtet meinen viele, dass die Agenturen zu viel Macht haben. „Sie haben einen nahezu religiösen Status bekommen“, kritisiert Wilhelm Rasinger, Präsident des Interessenverbandes für Anleger.

Das Geld nicht wert?

Auch Vermögensberater Leopold Seiler geht damit hart ins Gericht: Ratings seien oft unseriös und ihren Preis nicht wert. Der Experte für Wirtschaftsethik nennt es einen „systemischen Wahnsinn“, dass die Ratings von den Schuldnern bezahlt werden: „Daran krankt das gesamte System.“ Über die Seriosität von mehr als 850.000 Gutachten pro Jahr, die von 1300 Analysten erstellt werden, müsse ebenfalls laut nachgedacht werden.

Als Alternative wird in der öffentlichen Debatte die Idee einer europäischen Ratingagentur favorisiert. Aber bereits 1999 scheiterte der Medienkonzern Bertelsmann mit einem solchen Vorhaben. Zuletzt versuchte sich die Unternehmensberatung Roland Berger daran, allerdings fehlen derzeit auch hier die Geldgeber, um die kolportierten Startkosten von 300 Millionen Euro zu finanzieren. Auch bei diesem Projekt erscheint die Umsetzung äußerst zweifelhaft.

Der internationale Bankenausbildungs- und Zertifizierungsanbieter Finance Trainer schlägt nun als Alternative für Unternehmensbewertungen ein Bankenrating nach den Standards der europäischen Bankenaufsicht (EBA) und den Basel-II-Regeln vor. „Banken sind die erfahrensten Ratingagenturen und auch glaubwürdig, da sie aufgrund von Ratings Kredite vergeben“, meint Hannes Enthofer, Gründer und Partner von Finance Trainer. Jedes Rating könnte in Ausfallswahrscheinlichkeiten übersetzt werden, zum Beispiel in die Bonitätsstufen 1 bis 6 der EBA. „In der Folge müsste eine Institution wie die EZB die Ratings qualifiziert überprüfen, damit sie kapitalmarkttauglich werden.“

Die Idee ist nicht neu, bei sogenannten „Credit Claims“ wird sie bereits umgesetzt. Solche „nicht handelbaren Kredite“ an Unternehmen, an die öffentliche Hand oder an inter- oder supranationale Institutionen akzeptiert die EZB seit 2007 – unter bestimmten Bedingungen und mit Abschlägen je nach Laufzeit und Bonität – als Sicherheit für Refinanzierungen. Enthofer plädiert auch für eine Änderung der Veranlagungsrichtlinien von Fonds und Pensionskassen: „Nicht nur Agenturratings sollten zugelassen werden, sondern auch die überprüfte EBA-Klassifizierung.“

Eine neue Bewertungsmethode für Staaten entwickelte der österreichische Finanzdatendienstleister software-systems. Sein „Finance & Ethics Research (FER) 3D Länder-Screening“ berücksichtigt neben rein ökonomischen auch soziale und ökologische Faktoren.

Ganzheitlich, basisdemokratisch

Das ermöglicht eine ganzheitliche Chancen- und Riskenbewertung. „Es erlaubt Investoren, Anlageentscheidungen unter Berücksichtigung ihrer individuellen Wertvorstellungen zu treffen, und ergänzt damit konventionelle Investmenttools“, so software-systems-Geschäftsführer Richard Lernbass. Über den kostenlosen Testzugang www.software-systems.at/laender-screening erhält man zu derzeit 62Ländern in den Teilbereichen Soziales, Umwelt und Wirtschaft Analysen, Factsheets und investmentrelevante Kennzahlen.

Und nicht zuletzt gibt es „Wikirating“, eine basisdemokratische Variante. Mehr als 1000 Stunden haben zwei Schweizer Mathematiker, Dorain Credé und Erwan Salembier, daran gearbeitet. Das Ergebnis ist eine Online-Community, in der Internetnutzer über die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen urteilen. Wie bei Wikipedia müssen die Bewertungen durch Quellen belegt werden. Auffällig ist, dass die Wikirating-Nutzer die Industrieländer deutlich schlechter beurteilen als die etablierten Agenturen: Die Bestnote „AA“ bekamen am Stichtag 10.April nur Liechtenstein und die Schweiz. Österreich erhält „BBB+“, die USA bekommen „BB“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2012)

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