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Händler auf dem Land: Gemeinde erhält sich ihren Nahversorger

Wolfgang Stadlmann betreibt probeweise einen kleinen Laden im 1000-Seelen-Dorf Hirm. Dorthin hat ihn die Bürgermeisterin geholt. Sie bezahlt die Hälfte der Miete, um das soziale Gefüge im Ort zu erhalten.

Seit Oktober des Vorjahres ist Wolfgang Stadlmann der neue Händler in Hirm. „Wir sind so eine typische Gemeinde, in der alles zugesperrt hat“, sagt Bürgermeisterin Inge Posch-Gruska. Erst der Greißler, dann der Fleischhauer, zuletzt das Gasthaus. Einen neuen Kaufmann für die Gemeinde zu finden hat sie Mühe gekostet. Der Ort im nördlichen Burgenland zählt knapp 1000 Einwohner. Wolfgang Stadlmann ist aber Routinier: Er führt in der Tourismusgemeinde Rust am Neusiedler See erfolgreich ein Lebensmittelgeschäft.

In Hirm ist er provisorisch in die frühere Greißlerei eingezogen – ein 100 Quadratmeter großes Geschäftslokal mit Wursttheke und Eck-Café. Um 5 Uhr 30 wird geöffnet. Denn auch die Kundschaft steht früh auf: „Um halb sechs kommen die Bauarbeiter aus den Nachbarorten und holen sich bei uns eine Jause.“ Große Supermarktketten haben um diese Zeit geschlossen, wenige Kilometer weiter nehmen die Arbeiter die Auffahrt auf die Autobahn A3. „Am Abend kommen sie wieder und holen sich ein Bier“, sagt die Bürgermeisterin. Allein davon kann der Kaufmann nicht leben. Die meisten Einwohner erledigen Großeinkäufe im Supermarkt.


Hohe Investitionen. Einer Studie der Beraterfirma Ecostra zufolge wuchs der Umsatz burgenländischer Kaufleute zuletzt um durchschnittlich 0,1 Prozent. Pro Quadratmeter erwirtschaften sie 3333 Euro – eine Billa-Filiale erzielt dem Vernehmen nach fast den doppelten Quadratmeter-Umsatz. Das weiß auch die Bürgermeisterin. Sie will den Händler trotzdem halten: „Ich bin überzeugt davon, dass wir einen Nahversorger brauchen.“ Der muss nicht rentabel sein, sondern eine soziale Funktion im Ort erfüllen. Ein Treffpunkt, Lebensmittelgeschäft für ältere Menschen: „Meine Tante ist früher zweimal einkaufen gegangen: Vormittags hat sie Einkäufe erledigt, am Nachmittag noch irgendeinen Artikel geholt, um unter die Leute zu kommen.“

So bekommt der Adeg-Kaufmann monatlich etwa die Hälfte der Miete ersetzt. Auch Flugblätter lässt die Gemeinde auf ihre Kosten drucken und verteilen. Im wenige Gehminuten entfernten Gasthaus plant die Bürgermeisterin neben einem Veranstaltungssaal und einer Arztpraxis ein neues Geschäftslokal für den Greißler, wo sie als Vermieterin flexibler unterstützen kann. Ob der Händler im Juni beschließt, dort einzuziehen, weiß er nicht. Die Investitionen, die am neuen Standort nötig wären, sind hoch. „Die muss man auch wieder verdienen.“ Reich werden wolle er nicht – letzten Endes müsse es sich aber auch für ihn rechnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2012)