Vollgas für Despoten

Man kann sich ausgiebig eine unpolitische Welt des Sports, der Formel 1 und der Songcontests wünschen. Doch leider sehen das Typen wie der König von Bahrain und der Autokrat von Baku anders.

Die schamlose Ignoranz ist schon erstaunlich. „Wir mischen uns nicht in die Politik eines Landes ein“, sagte Formel-1-Chef Bernie Ecclestone und dachte nicht im Traum daran, den „Großen Preis von Bahrain“ so wie im Vorjahr abzusagen. Damals galt die Sicherheit der Fahrer im arabischen Inselstaat noch als gefährdet. Doch mittlerweile ließ König Hamad al-Chalifa die Demokratiebewegung niederwalzen.

Dutzende Demonstranten wurden getötet, hunderte eingesperrt, gefoltert, vor Gericht gezerrt, sogar Ärzte, die verletzte Aktivisten behandelt hatten. Die Reformen, die Bahrains Monarch seither ankündigte, blieben leere Versprechungen. Immer noch werden Oppositionelle verhaftet, unlängst wieder mehr als 80, damit es am Rennwochenende möglichst ruhig bleibt.

Doch das alles, Willkür, Folter und Todesschüsse, ficht Rennfahrer, Funktionäre und Formel-1-Fans nicht an. „Wir sollten uns nicht den Kopf zerbrechen über eine Sache, die uns nichts angeht“, erklärte der Weltmeister des Vorjahres, Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel. Solange das Salär stimmt, zöge er seine Runden vermutlich überall, wo man ihn hinschickt, auch zwischen vergoldeten Leitplanken in Turkmenistan.

Es ist legitim, sich eine unpolitische Welt des Sports zu wünschen, in der lediglich der edle Wettstreit zwischen Athleten aus aller Herren Länder zählt. Es ist jedoch leider naiv. Denn die Machthaber, die internationale Großereignisse inszenieren, halten sich erfahrungsgemäß nicht an die harmlosen Maximen, die sie wie Reklametafeln vor sich hertragen. Sie nützen solche Gelegenheiten, um sich und ihre Herrschaft in ein schmeichelhaftes Licht zu rücken. So will Bahrains Monarch der Welt mit dem Autorennen zeigen, dass auf seinem kleinen Eiland alles in Ordnung ist. Und die Formel1 ist so nett und macht mit. Es geht ja auch um viel Geld.

Das Phänomen ist nicht neu. 1936 ließ sich die Weltöffentlichkeit bereitwillig von den Olympischen Spielen in Berlin blenden. Schließlich hatte der Reichspropagandaminister von einer „neuen Epoche des wirklichen Friedens“ gesprochen und der Führer für ein paar Wochen „Für Juden verboten“-Schilder verschwinden lassen. Auch 2008 glaubten Träumer, die Spiele in Peking zögen eine politische Öffnung Chinas nach sich. Dazwischen störte kaum wen, dass die Fußball-WM 1978 in Argentinien stattfand, wo gerade eine Militärjunta einen schmutzigen Krieg gegen das eigene Volk führte. Egal, Hauptsache: Hans Krankl schoss in Córdoba das 3:2 gegen Deutschland.


Franco-Mythos. Wer dem digitalen Lexikon Wikipedia traut, könnte auf die Idee kommen, dass Österreich 1969 tatsächlich einmal ausnahmsweise Haltung zeigte und den Songcontest in Madrid aus Protest gegen die Franco-Diktatur boykottierte. Doch das ist ein Mythos, wie ein Blick ins Archiv beweist. Der damalige ORF-Direktor Helmut Zilk entsandte nur deshalb niemanden zum Grand Prix d'Eurovision, weil er keinen „repräsentativen Sänger“ auftreiben konnte und nicht schon wieder, so wie im Vorjahr, einen Ausländer (Karel Gott) nominieren wollte. Heuer instrumentalisiert Aserbaidschans übler Autokrat Alijew den Gesangswettwerb in Baku für seine Zwecke, und Teilnehmer aus Österreich wackeln kritiklos mit ihrem Popo dazu.

Doch ganz so einfach ist die Sache auch auf ethischer Ebene nicht. Großevents bieten nicht nur Mächtigen, sondern auch Menschenrechtsorganisationen eine Bühne. Wer redete schon über Willkür in Bahrain oder Aserbaidschan, wenn dort kein Grand Prix oder Songcontest stattfände? Umso wichtiger wäre es, dass sich Sportler oder Sänger kein Blatt vor den Mund nähmen und unter dem Schutz ihres öffentlichen Status die Rechtsverstöße in fragwürdigen Veranstalterländern ansprächen. Doch das passiert leider zu selten, eigentlich fast nie. Wahrscheinlich könnten auch eine Schwimm-WM in Saudiarabien oder ein Schieß-Contest in Nordkorea ohne Widerspruch fröhlich über die Bühne gehen.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2012)

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