Ukraine: Julia Timoschenko setzt auf Hungerstreik

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Ukraine Julia Timoschenko setzt(c) EPA
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Die inhaftierte Ex-Premierministerin verweigert aus Protest gegen Willkür der Behörden die Nahrungsaufnahme. Der Zeitpunkt ist wohl kein Zufall: Die Opposition bündelt ihre Kräfte gegen das autoritäre Regime.

Moskau/Kiew. Der Hungerstreik als Protest- und Druckmittel wird gegenwärtig bei osteuropäischen Politikern immer häufiger eingesetzt. Hatten neulich mehrere Politiker in der südrussischen Stadt Astrachan über einen Monat lang die Nahrungsaufnahme verweigert, um die gerichtliche Überprüfung von Wahlfälschungen zu erzwingen, so wurde gestern bekannt, dass die ehemalige ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko bereits seit fünf Tagen kein Essen mehr zu sich nimmt.

Die vormalige Galionsfigur der demokratischen Umwälzungen ab dem Jahr 2004, die derzeit eine höchst umstrittene siebenjährige Haftstrafe wegen angeblichen Machtmissbrauchs bei der Ausverhandlung der Gasverträge mit Russland verbüßt, protestiere damit gegen das Verhalten des Gefängnispersonals und der Ärzte, sagte ihr Anwalt, Sergej Wlassenko.

Konkret gehe es um Gewaltanwendung, sodass Timoschenkos Körper schwere Blutergüsse aufweise, sagte Wlassenko zur russischen Nachrichtenagentur Interfax. Diese rührten daher, dass die 51-Jährige, die laut Diagnose eines deutschen Ärzteteams schwer krank und wegen eines Rückenleidens kaum gehfähig ist, vorige Woche gegen ihren Willen und gewaltsam zur Behandlung in eine Klinik der ostukrainischen Stadt Charkiw gebracht worden sei.

Die Verlegung ins Krankenhaus „unter Anwendung physischer Gewalt“ entspreche auch den ukrainischen Gesetzen, bestätigte Staatsanwalt Gennadi Tjurin. Dass sie als Verurteilte kein Anrecht auf die angebotene Behandlung in einer deutschen Klinik habe, hatten die Behörden schon vorige Woche klargestellt.

Janukowitschs Racheakt

Die EU sieht die gesamte Haftstrafe Timoschenkos als Racheakt von Präsident Viktor Janukowitsch, der 2004 Timoschenko unterlegen war, seit der Präsidentenwahl 2010 aber zurück am Ruder ist und binnen kurzer Zeit ein autoritäres Regime restauriert hat. Das neue Regime hat neben Timoschenko noch andere Mitglieder ihres einstigen Kabinetts hinter Gitter gebracht und in Kauf genommen, dass die EU das ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der Ukraine vorerst nicht unterschreibt.

Janukowitschs Image ist vor allem durch den Fall Timoschenko ramponiert. Das wird durch ihren Hungerstreik nicht besser, zumal schon in wenigen Wochen mit dem Beginn der Fußball-EM die Ukraine noch stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerät. Der Hungerstreik fällt außerdem in eine Zeit, in der noch ein zweiter Prozess gegen Timoschenko wegen Ungereimtheiten im Gasgeschäft der 1990er-Jahre neu aufgerollt wird. Die Mitteilung über den Hungerstreik scheint zeitlich auch so anberaumt zu sein, dass sie den Startschuss für den aktiven Wahlkampf der Opposition markieren sollte.

Am Montag nämlich haben Timoschenkos Vaterlandspartei und die Partei von Exaußenminister Arsenij Jazenjuk bekannt gegeben, ihre Kräfte für die Parlamentswahl im Herbst zu bündeln. Es ist dies der erste ernsthafte Versuch, eine oppositionelle Front gegen Janukowitschs „Partei der Regionen“, die vor allem im russischsprachigen Osten Rückhalt findet, aufzubauen. „Vom symbolischen Standpunkt her ein wichtiger Schritt“, erklärt Oleksij Haran, Politikwissenschaftler auf der Kiewer Mohyljanska Akademija, im Gespräch mit der „Presse“.

Die Zersplitterung der Parteien ist einer der Schwachpunkte in der politischen Landschaft der Ukraine, wobei Zusammenschlüsse auch nur situativ funktioniert haben, wie die destruktiven internen Zerfleischungen nach der „Orangen Revolution“ und das nachmalige Wiedererstarken Janukowitschs gezeigt haben.

Klitschko boxt sich durch

Offensichtlich jedenfalls wird derzeit, dass Timoschenko auch aus dem Gefängnis heraus die schillerndste Figur der Opposition bleibt. Allein, die Oppositionslandschaft ist durchaus bunt – bei Weitem nicht alle Gruppierungen laufen der neuen Allianz zu. Abgesehen von den Nationalisten versucht vor allem der Boxweltmeister Vitali Klitschko, der mit seiner Partei „Udar“ („Schlag“) an Popularität gewinnt, einen Alleingang.

„Timoschenkos Allianz macht den Fehler, dass sie sich als einzig reale Opposition sieht“, erklärt Vitali Bala, Chef der politischen „Agentur für Situationsmodellierung“: „Und sie macht den Fehler, dass sie sich bisher nur als Gegner der Machthaber positioniert, aber keine Transparenz erkennen lässt, welche Ideen sie für eine neue Ukraine hat.“ Nichtsdestotrotz: Der Hungerstreik könne von der Allianz gut genützt werden.

Auf einen Blick

Aus Protest gegen ihre Haftbedingungen ist die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko in einen Hungerstreik getreten. Sie fordert zudem ein Ende der „politischen Repressionen“. Vergangenen Oktober war sie wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2012)

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