Darts: Der Spitzensport der Scheibenwelt

Darts Spitzensport Scheibenwelt
Darts Spitzensport Scheibenwelt(c) AP (TOM HEVEZI)
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In England ist Darts längst ein Quotenhit. Auch in Resteuropa erwacht die Liebe zu den Pfeilartisten. Bei den Austrian Darts Open zeigen die Größen wie Vize-Weltmeister Andy Hamilton ihre Präzisionskunst.

Leicht ist dieses Spektakel für den unerfahrenen Beobachter nicht zu begreifen: Tausende grölende Fans feiern Bühnen-Artisten in glänzenden Hemden, die mit dem Rücken zum Publikum ihre Mini-Pfeile auf die Scheibe loslassen – und dabei in erster Linie das winzige Triple-20-Feld anvisieren. Bohren sich dann drei stählerne Pfeilspitzen en suite ins besagte, rote Triple des torteneckförmigen 20er-Segments, wird es für den Darts-Neuling noch seltsamer. Dann nämlich wird es so richtig laut in der Halle, beginnt der – neutrale – Zählmeister rechts neben dem Board zu brummen, überschlägt sich beim ausgedehnten Brüllen der „180!“ seine Stimme – was die Fans noch mehr in Ekstase versetzt, ja zu Freudentänzen und Jubelgesängen verleitet. „Verrückt“, mögen manche denken. Viele sind anderer Meinung.

In Großbritannien sind Darts-Events ein Publikumsmagnet, feuern in der Premier League, der Königsklasse im Pfeil-Genre, über 8000 Zuschauer die Millimeterkünstler an. Abgesehen von Fußball-Übertragungen erzielen im Vereinigten Königreich Live-Spiele im Darts die höchsten Einschaltquoten im Sportfernsehen. Doch Darts zieht längst auch in Resteuropa Fanströme an. Dieses Wochenende trifft sich die Weltelite in der Arena Nova von Wr. Neustadt, um bei den heute endenden Austrian Open ihr Können mit den 20 Gramm leichten Pfeilen zu zeigen. Das mit knapp 100.000 Euro dotierte Turnier ist heuer noch hochkarätiger besetzt als im Vorjahr, in Niederösterreich sind fast alle dabei, die in diesem Präzisionssport Rang und klingenden (Spitz-)Namen haben: „The Flying Scotsman“ Gary Anderson, „The Wizard“ Simon Whitlock und „The Machine“ James Wade.

Ebenfalls auf der Bühne steht der diesjährige Vize-Weltmeister Andy Hamilton, Mitglied der elitären Premier League. „The Hammer“ stammt aus der größten Talenteschmiede der Darts-Welt, aus Stoke-on-Trent – genauso wie die noch immer werfende Legende Phil Taylor und Adrian „Jackpot“ Lewis. Die beiden Führenden der Weltrangliste waren für die Austrian Open gemeldet, sagten aber krankheitsbedingt kurz vor Turnierbeginn ab. Doch im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ gewährt das Stoke-Trio Taylor, Lewis und Hamilton präzise Einblicke in ihr Millimeter-Metier.

„In meiner Jugend spielte ich mit meinem Dad zu Hause Darts. Mein Vater war in Stoke Captain eines Darts-Teams. Als ich 17 war, fiel einmal ein Spieler seiner Mannschaft aus und ich durfte einspringen. Das war 1984 und mein erstes richtiges Match“, erzählt Hamilton. Zu einer Profikarriere als Pfeilwerfer entschied sich der bullige Brite erst 20 Jahre danach. Den absoluten Durchbruch schaffte Hamilton in diesem Jahr, als er bei der Weltmeisterschaft bis ins Finale vorstieß. Da hatte der 45-Jährige gegen Stoke-Landsmann Adrian Lewis das Nachsehen.

„Andy ist ein guter Kumpel von mir und ein großartiger Spieler. Ich hab‘ mich über seinen Finaleinzug bei der WM sehr gefreut – allerdings nicht so sehr, dass ich ihn gewinnen lassen konnte“, lacht „Jackpot“ Lewis, der seinen Spitznamen erhielt, weil er einst in einem US-Casino bei einem „einarmigen Banditen“ den Jackpot von mehr als 70.000 Dollar knackte. Einkassieren durfte er den Gewinn nicht – er war noch nicht alt genug. Heute ist Lewis 27 Jahre alt, Millionär – und beginnt mit seinem zweiten WM-Titel in die übergroßen Fußstapfen seines Mentors, des lange als unbezwingbar geltenden Phil Taylor, zu treten.

Der 51-jährige Taylor, der mit 15 Weltmeistertiteln zu den erfolgreichsten Sportlern überhaupt zählt, ist wichtiger Wegbegleiter und Förderer von Adrian Lewis. „Ich bin sehr stolz auf Adrian und irgendwie ist er wie ein Sohn für mich“, sagt Taylor. „Wir haben früher viel gemeinsam trainiert und ich weiß wahrscheinlich über ihn und sein Spiel mehr als er selbst“, scherzt die bei der WM von seinem Schützling entthronte Darts-Ikone.


Welthauptstadt im Darts. Hamilton, Lewis und Taylor – die geballte Kraft aus Stoke-on-Trent, einer Industriestadt im Westen Englands mit 240.000 Einwohnern. Sie gilt in Großbritannien als Zentrum der Keramikindustrie und nahm eine bedeutende Rolle zur Zeit der Industriellen Revolution ein. Von der Blütezeit zeugen noch die Silhouetten von Flaschenöfen in verschiedenen Teilen der Stadt, die gemeinhin als „The Potteries“ bekannt ist.

Im Pfeilgenre haften Stoke-on-Trent andere Beinamen an. „Es ist die Welthauptstadt im Darts“, ist sich „Stokie“ Adrian Lewis sicher. Der amtierende Weltmeister warf seine ersten Pfeile nicht in Stoke, sondern in einem Pub im benachbarten Newcastle-Under-Lyme. „Ich war erst 17, war im Baugewerbe tätig und ging mit Freunden an einem Freitag nach der Arbeit dorthin. Es stellte sich heraus, dass ich ein Naturtalent war. Wir spielten 'Sieger bleibt am Board‘ und ich hielt mich dort die ganze Nacht. Und das obwohl mich auch lokale Ligaspieler herausforderten!“

„Ich könnte nicht sagen, dass ich jemals von hier wegziehen möchte“, so der heute 27-jährige Lewis. In seiner Heimatstadt ist „Jackpot“ zum Popstar aufgestiegen. Als Fan des hier ansässigen Fußballklubs Stoke City ließ sich Lewis mit seinem WM-Pokal auf dem Stadionrasen des englischen Erstligisten feiern. „Das war etwas ganz Spezielles für mich“, erzählt er.

Seit Gründung der Professional Darts Corporation (PDC), die sich 1994 von der British Darts Organisation (BDO) abspaltete, ist Lewis – nach seinem Idol Phil Taylor – erst der zweite Spieler, dem es gelang, seinen WM-Titel zu verteidigen. Er ist der Shootingstar eines Sports, in dem sich immer mehr junge Spieler in der Weltspitze etablieren. Es bahnt sich ein Generationenwechsel an. „Die Jungen lieben das Spiel, sie lieben das Geld. Und das Preisgeld ist wirklich fantastisch.“, sagt Altmeister Phil Taylor. „Die Youngsters wollen auch mitnaschen und erfolgreich sein.“ Fast unersättlich war in dieser Hinsicht in den letzten beiden Jahren sein Protegé Lewis. Allein die zwei WM-Titel besserten „Jackpots“ Konto um knapp 500.000 Euro auf.

Nicht mit dem sogenannten Soft-Tip, der Pfeilspitze aus Kunststoff, sondern mit den härteren Steel-Darts ist in diesem Präzisionssport das große Geld zu holen. Unabhängig der Pfeilspitze gilt bei beiden Varianten: mit so wenig Darts wie möglich von 501 Punkten auf exakt Null zu kommen. Eine Runde (Leg) beenden, sprich: auschecken, können die Spieler auf dem knapp zweieinhalb Meter entfernten Board nur per Treffer ins acht Millimeter schmale Doppelfeld.


Mensurs Gespür für Pfeile. Das feinste Gespür für die kleinen Pfeile hat in Österreich Mensur Suljovic (siehe auch nebenstehendes Interview). Der in Serbien geborene Wiener schrieb vor zwei Jahren Darts-Geschichte, als er als erster Spieler aus dem deutschsprachigen Raum das Achtelfinale einer WM erreichte. Suljovic, vielfacher Weltmeister im weniger populären Electronic-Darts, kann aber im Gegensatz zu den millionenschweren Stars wie Taylor oder Lewis nicht vom Pfeilewerfen allein leben, er arbeitet und trainiert nach wie vor im Kaffeehaus seines Bruders.

In anderen Sphären schweben „The Hammer“, „Jackpot“ und vor allem „The Power“ Phil Taylor, der 2010 zur zweitgrößten Sportpersönlichkeit Großbritanniens gewählt wurde. Der dreifache Großvater lukrierte in seiner Karriere allein an Preisgeld über fünf Millionen Euro, ist noch immer Nummer eins der Welt. Auch nach zwei Jahrzehnten geht „The Power“ nicht die Kraft aus. Eines blieb dem 51-Jährige aber bis heute verwehrt: bei einer Weltmeisterschaft das perfekte Spiel zu werfen – eine Runde (Leg) mit nur neun Pfeilen von 501 auf null auszuchecken. Das hat ihm sein ehemaliger Schüler und Nachfolger auf dem WM-Thron schon voraus: Adrian Lewis warf den Nine-Darter im WM-Finale 2011. Und „The Hammer“ Hamilton verpasste diesen magischen Moment bei der diesjährigen WM nur knapp, weil er den letzten Pfeil knapp neben die Doppel-18 setzte.

Das Niveau im Darts schraubt sich nach oben. Bei Turnieren erreicht der Drei-Darts-Average, der Punktedurchschnitt pro Runde, neue Dimensionen. Den hohen Level beweist die Elite auch in Wr. Neustadt: Der Engländer Michael Smith schaffte bereits am ersten Tag das „Perfect Game“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2012)

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