Sibirien: "Gold ist schwer, sonst nichts"

Sibirien Gold schwer sonst
Sibirien Gold schwer sonst(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Lange hat der Goldsektor in Russland ein Schattendasein hinter der dominanten Öl- und Gasindustrie gefristet. Nun aber entwickelt man Ambitionen. Ein Besuch im sibirischen Männerdorf und den Goldminen von Jeruda.

Nicht alles, in dem im weiten Sibirien Gold enthalten ist, muss nach außen hin auch glänzen. Das Flugzeug des Typs An-26B100 etwa würde selbst dann kaum in früherer Pracht erstrahlen, wenn man es stundenlang polierte. Dass es seit Jahrzehnten den Weg zwischen Severo-Jenisejsk, einem Dorf am Ufer des Jenisej-Flusses, und der 660 Kilometer südlich gelegenen Gebietshauptstadt Krasnojarsk zurücklegt, sollte uns beim Boarding nicht wirklich beruhigen.

Gewiss, die Arbeiter aus den Goldminen scheinen es als selbstverständlich zu nehmen, dass die Maschine nicht heizt und Rettungsstricke statt Notrutschen für das Überleben im Ernstfall bereitstellt. Genauso selbstverständlich wie sie den Security-Hünen nehmen, der mit steinerner Miene die im Heck geladenen 90 Barren Gold bewacht – den Output von zwei Wochen auf dem Flugtransport aus der sibirischen Kälte zum Punzieren in die Gebietshauptstadt.

Goldbarren in maroden Flugzeugen. Dass Gold tonnenweise in maroden Flugzeugkisten durch die Gegend geschaukelt wird, empfindet man hier, 3000 Kilometer östlich von Moskau, für nicht sonderlich spektakulär. Gleich wie die Arbeit in der Produktion eines Metalls, nach dem die Welt seit Jahren giert wie selten zuvor. „Metall ist Metall“, sagte Alexandr Vasilenko, der uns als Leiter der chemischen Verarbeitung zuvor durch die Goldminen „Jeruda“ des größten russischen Produzenten „Polyus Gold“, 75 Kilometer von Severo-Jenisejsk entfernt, geführt hat: „Aber es ist trotzdem erhebend, wenn das wertvolle Element am Ende der Produktion in die Barrenform fließt.“

Seit den 1980er-Jahren wird in den drei Minen von „Jeruda“ Gold industriell gefördert. Richtig in Fahrt kam die Produktion aber erst in den vergangenen paar Jahren. Was einst zum weltweit größten Nickelkonzern Norilsk Nickel gehörte, wurde 2006 als eigene Geschäftseinheit abgespalten und wird nun modernisiert.

Heute gehört das Unternehmen „Polyus Gold“ zu 78 Prozent den beiden russischen Oligarchen Suleiman Kerimov und Michail Prochorow, der bei den Präsidentenwahlen im März gegen Wladimir Putin angetreten ist. Polyus Gold, das hinter der kanadischen Barrick Gold und der englischen Newmont Mining über die drittgrößten Reserven weltweit verfügt, besitzt Produktionsstätten in fünf russischen Regionen sowie in Kasachstan, Rumänien und Kirgisistan.

Die Hauptförderstätte aber ist Jeruda, Russlands „Goldenes Herz“, wie man stolz betont. 6000 der 10.000 Konzernmitarbeiter sind dort im Einsatz. Rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. „Die Schmiermittel in den Maschinen entscheiden, ob es zu kalt für die Arbeit ist“, sagt Sprengmeister Leonid Skorik: „Ab minus 48Grad wird das Material langsam. Die Menschen würden auch bei minus 60Grad arbeiten.“

Ein eisiger Wind bläst an diesem Nachmittag über die Taiga. Der Wachtposten mit dem Schlagstock hat sich in einer provisorischen Iglubehausung verschanzt. Erst nachdem wir das Fahrzeug mühsam aus einer Schneeverwehung gezogen haben, erreichen wir den Krater mit dem wertvollen Gestein.

420 Meter tief haben sich die Maschinen hier seit den 1980er-Jahren vorgegraben. Stufe um Stufe. Alle drei Tage lässt Skorik den Krater für einige Stunden evakuieren, um die nächsten hunderttausende Tonnen Golderz aus dem Massiv zu sprengen. In Kugelmühlen zu Staub zermalmt, landet das Gestein mit einem Goldgehalt von drei bis 3,5Gramm je Tonne schließlich in der Cyanidlauge. Oder es wird, wenn es sehr schwefelhaltig ist, vom Sulfabacillus Olimpiadicus, einem in Jeruda gezüchteten Bakterium, quasi angeknabbert und so von Beimengungen gereinigt, ehe es in die chemische Nachbearbeitung kommt und letztlich in reiner Goldkonsistenz mit 1180Grad in die Barrenform fließt.


Russlands riesige Goldreserven. Polyus deckt etwa ein Fünftel der russischen Förderung. Und Russland selbst liegt laut World Mining Data 2011 auf der Liste der goldproduzierenden Länder hinter China, Australien und den USA auf Platz vier. Das US Geological Survey schätzt, dass Russland ein Zehntel der heute gewinnbaren Weltreserven birgt. Zwar sind die Förderstätten wegen der mangelnden Infrastruktur schwerer zugänglich, dafür aber liegen sie nicht so tief wie beim einst unerreichbaren Leader Südafrika, der mittlerweile weltweit auf Platz fünf abgesackt ist, weshalb südafrikanische Manager bereits in Sibirien angeheuert haben.

Überall werde die Förderung teurer, erklärt Polyus-Vorstand German Pikhoya im Gespräch. Kostete die Produktion bei Polyus 2010 noch 554Dollar je Unze, so waren es im Vorjahr bereits 661 Dollar. Solange der Goldpreis wie derzeit bei über 1650 Dollar liegt, ist das kein Problem. Wenn er fällt, könnte es eines Tages eng werden. Denn „schon in naher Zukunft werden viele Produzenten Produktionskosten von über 1000 Dollar je Unze haben“, sagt Pikhoya.

Es sind Summen, die im Alltag der Arbeiter von Jeruda nicht präsent sind. Präsenter sind die eisernen Drehtüren, die am Ausgang der Fabrik an ein Hochsicherheitsgefängnis erinnern. Metalldetektoren vom Boden bis zur Decke wachen darüber, dass kein einsames Gramm unentdeckt das Werk verlässt. Erst etwas abseits der Fabrik im Dorf Jeruda ist das Leben eine Spur weniger reglementiert. Eigentlich ist das Dorf kein Dorf, sondern eine Arbeitersiedlung für den dreimonatigen Einsatz zwischen den eineinhalbmonatigen Urlauben.

Und eigentlich gelten auch hier strenge Regeln: Keine Frauen, kein Wein und nur wenig Gesang. Im Allgemeinen ja, erzählt ein Arbeiter, der nicht genannt werden möchte: Aber jeder wisse, dass dort wie da zwischendurch Frauen auftauchen. Und wenn man unbedingt wolle, könne man auch Alkohol organisieren, wiewohl man durch die langen Arbeitstage und die Kälte ohnehin zu kaputt zum Feiern sei. Polyus Gold hat für minimale Annehmlichkeiten gesorgt. Die Wohnungen sind sauber, die Sportsäle und Kraftkammern modern ausgestattet. Irgendwo müsse man sich schließlich vom Lagerkoller abreagieren, erzählen die Arbeiter. Notfalls im Wald beim Beeren- und Pilzesammeln, sagt Kazimierz, ein gebürtiger Pole, der als Hausmeister in Jeruda hängengeblieben ist.

Russlands Goldsektor will indes nicht am Erreichten hängenbleiben, zumal der Sektor relativ jung ist. Erst in den vergangenen Jahren haben sich Goldunternehmen – ähnlich wie Polyus Gold – als Spin-off großer Bergbaukonzerne herauszukristallisieren begonnen. Polyus hat im Vorjahr 558Mio. Dollar an Reingewinn erzielt. Und es hat seinen Goldausstoß auf 1,49Mio. Unzen gesteigert. 2020 will man bei 4,4Mio. Unzen sein. Der Investitionsbedarf bis dahin: über 8,7Mrd. Dollar.

Sind derzeit noch die Minen von Jeruda das Herz der Produktion, so winken die größten Perspektiven weiter östlich nahe der Stadt Irkutsk bzw. Magadan, wo einst Gefangene in den stalinistischen Gulags unweit des Pazifiks geschunden worden sind. Die dortige Lagerstätte Natalka, die 2013 in Betrieb gehen wird und der österreichischen Firma Cemtec Cement and Mining Technology soeben einen zweistelligen Millionenauftrag eingebracht hat, gilt mit 31,6Mio. Unzen als drittgrößte Lagerstätte der Welt. Gewiss, der Goldgehalt mit etwa 1,6Gramm je Tonne ist dort geringer als in Jeruda, aber „es gibt nun einmal keine hochgradigen Lagerstätten in der Welt mehr“, erklärt Pikhoya.

Stattdessen gibt es die Absicht, mit einem internationalen Unternehmen zu fusionieren, um an Know-how zu kommen. Und es gab bis vor wenigen Wochen die Absicht, sich von der Insel Jersey nach London umzuregistrieren, um ein Premiumlisting auf der Londoner Börse zu erlangen. Beides ist vorerst gescheitert, weil die russische Regierung auch im Gold einen strategischen Sektor sieht, den man vor ausländischen Beteiligungen schützen müsse. Pikhoya kann dem sichtlich wenig abgewinnen. Gerade Gold sei in Russland im Vergleich zu Öl und Gas ein relativ kleiner Sektor, sagt er: „Aber wenn die Rede auf Gold kommt, werden offenbar Emotionen geweckt.“

Nicht so bei der Jugend. Wie in anderen Minen, so klagt man nämlich auch in Jeruda über den Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften im Bergbau. In Russland ist noch immer der Öl- und Gassektor der attraktivste. Auch weil er besser zahlt. Dabei lässt sich auch in den Goldminen das Doppelte des landesweiten Durchschnittslohnes verdienen.

Zu den 1300Euro kommen kostenloses Wohnen und Essen hinzu. Die Erschwerniszulagen haben bisher bewirkt, dass Leute nach Jeruda gingen, um sich finanziell zu sanieren. Und um mit 50 in Pension zu gehen, ein letztes Mal mit dem alten Flugzeug An-26B100 in den Süden zu fliegen und möglichst ans Meer ziehen zu können, wie die Arbeiter erzählen. Als Ausgleich für die Kälte und den schweren Job? „Was heißt schwer?“, gibt Sprengmeister Skorik zurück: „Gold ist schwer. Sonst wüsste ich eigentlich nicht, was schwer ist.“

In den drei Goldminen in Jeruda wird seit 30 Jahren Gold industriell gefördert. Drei Gramm befinden sich in einer Tonne Erdreich. 6000 Bergarbeiter arbeiten hier in der sibirischen Kälte.

Bei minus 48 Grad Celsius muss der Goldabbau gestoppt werden. Ab diesen Temperaturen gefrieren die Schmiermittel in den teuren Maschinen. Menschen könnten bis minus 60Grad Celsius arbeiten, heißt es.

Die Arbeiter sind drei Monate ununterbrochen im Einsatz, dann haben sie eineinhalb Monate Urlaub. Im Lager gelten strenge Regeln: keine Frauen, kein Wein, wenig Gesang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2012)

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