Arzt der Berliner Charité darf Ex-Premierministerin in Charkiwer Hospital behandeln. Die Politikerin beendete gestern ihren Hungerstreik und lässt Privatisierungen überprüfen.
Wien/Charkiw/Som/Flü. Um 8.02 Uhr in der Früh traf die prominente Patientin mit einer Eskorte aus vier Fahrzeugen plus Polizeibegleitung im Krankenhaus Nummer5 ein. Julia Timoschenko, ukrainische Ex-Premierministerin wurde gestern von ihrer Gefängniszelle in der Stadt Charkiw in ein örtliches Krankenhaus verlegt. Vor dem Krankenhaus warteten Timoschenkos Unterstützer auf den Konvoi. „Julia – Freiheit“, riefen sie.
Timoschenko verbüßt derzeit eine siebenjährige Haftstrafe wegen Machtmissbrauchs während ihrer Amtszeit als Regierungschefin. Sie leidet an starken Rückenschmerzen und kann sich kaum noch bewegen. Aus Protest gegen ihre Haftbedingungen befand sich die Politikerin seit fast drei Wochen in einem Hungerstreik. Diesen beendete Timoschenko nach der Verlegung in das Krankenhaus. Ihre Tochter Jewgenija Timoschenko sagt, ihre Mutter habe zehn Kilogramm abgenommen. Der deutsche Neurologe Lutz Harms – er arbeitet im Berliner Krankenhaus Charité und wird Timoschenko behandeln – sagte gestern, die Patientin werde „aus dem Hungerstreik herausgeführt“. Zunächst bekommt Timoschenko Wasser und Säfte verabreicht, erst später feste Nahrung.
Offenbar hat sich Harms auf einen längeren Aufenthalt vorbereitet: Nach Augenzeugenberichten ukrainischer Journalisten wurde der Arzt mit einer großen Tasche beim Betreten des Krankenhauses gesehen. Es sei „nicht ausgeschlossen“, dass er im Hospital wohnen werde, erklärte dazu die Vize-Gesundheitsministerin Raissa Moisejenko gestern.
Die Therapie im Charkiwer Krankenhaus ist ein Kompromiss zwischen Deutschland und der Ukraine, Außenminister Guido Westerwelle begrüßte die Verlegung ins Spital als „Fortschritt“. Berlin hatte sich ursprünglich dafür starkgemacht, die inhaftierte Politikerin direkt in der Charité in Berlin zu behandeln. Eine Ausreise Timoschenkos wurde aber von ukrainischer Seite abgelehnt. Eine Betreuung durch ukrainische Ärzte wollte die Politikerin wiederum nicht zulassen; sie hätte kein Vertrauen in sie, erklärte Timoschenko, zudem könnten die Behörden versuchen, die einheimischen Mediziner unter Druck zu setzen.
Umstrittener Deal mit Österreich
Kaum im Krankenhaus angekommen, hob Julia Timoschenko derweil zu einem neuen Schlag gegen den Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch aus. Sie rief die internationale Anti-Geldwäsche-Organisation „Financial Action Task Force on Money Laundering“ (FATF) dazu auf, eine Reihe von Privatisierungen in Janukowitschs Amtszeit zu prüfen – darunter die umstrittene Privatisierung der nationalen Telefongesellschaft „Ukrtelecom“. Sie wurde Anfang 2011 an die offiziell österreichische Investmentgesellschaft Epic verkauft.
Die Ukraine wurde erst Ende letzten Jahres von der schwarzen Liste der FATF entfernt, nachdem sich die Geldwäsche- und Korruptionsbekämpfung kurz nach dem Amtsantritt Janukowitschs deutlich verschlechtert hatten. Timoschenko rief auch die europäischen Staatsanwaltschaften um Hilfe bei der Ahndung von möglicher Geldwäsche des Regimes an.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2012)