Kolumbien: Null Bock auf Risotto auf 4100 Metern

(c) AP (Jacquelyn Martin)
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Der Kopf schmerzt, der Magen revoltiert, aber nach der Akklimatisation lacht die Sonne, blitzen die Schneegipfel der Sechstausender und leuchten die Karseen – die Trekker kehren in den Nationalpark El Cocuy zurück.

Und ein halbes Kilo Käse, Señora“, wiederholt der Verkäufer und legt beschwingt einen der weichen runden Laibe zu den zwei Zwiebeln und dem Packerl Pfeffer auf die hölzerne Ladentheke. Es ist Viertel vor sechs in der Früh und noch stockfinster, aber der kleine Eckladen an der Plaza von Cocuy ist schon gut besucht.

Männer in braunen Wollponchos und hohen Hüten schlürfen starken Kaffee aus kleinen Häferln und essen dazu mit Karamelcreme gefüllte Kipferln. Sie warten wie wir auf den „Lechero“, den Milchbus, der von 2620 Metern zu den Almen hinauffährt. Der Käse wandert in die Außentasche des Rucksacks, die Fahrgäste entern den ausgedienten Schulbus mit den gelben und grünen Streifen.

Bis vor wenigen Jahren war diese Gegend im Nordosten von Kolumbien noch Guerillagebiet, kaum jemand wagte sich in den Nationalpark El Cocuy in den Ostkordilleren. Doch seit dem Amtsantritt von Präsident Uribe im Jahr 2002 hat sich die Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes gebessert – die Touristen kehren langsam zurück.

„In der Hochsaison im Jänner und Anfang Februar gehen täglich schon einmal 50, 60 Personen los, viele davon auf mehrtägige Trekkings, überwiegend Kolumbianer natürlich“, sagt die junge Frau im Parkbüro, wo jede geplante Route registriert werden muss. Westliche Ausländer sind bisher noch rar.

Der Milchbus holpert die Gebirgsstraße hinauf. An jeder Ecke werden ein paar Milchkannen und Eimer in die blaue 180-Liter-Plastiktonne, die im Gang zwischen den Sitzbänken installiert ist, entleert. Eineinhalb Stunden später stoppt El Lechero am Eingang zum Nationalpark auf 3700 Meter Höhe. Hier oben wachsen nur noch struppige niedrige Büsche und knorrige Sukkulenten, die bis in den Vormittag noch von Reif bedeckt sind.

„Für mich kein Keks mehr!“

Zunächst führt der Weg mit sachter Steigung den Fluss entlang. An den Ufern weiden Kühe. Das Landschaftsbild wird immer grandioser – karg begrünte Hänge und darüber Felsnasen. Der schneebedeckte Fünftausender „Zuckerhut“ (Pan de Azúcar) mit seiner Teufelskanzel (Pulpito del Diablo) blitzt hinter den Pässen hervor. Über eine Serie kleiner Teiche steigen wir zu einer Talseite auf. Die erste Steigung ist, zwar etwas schwer atmend, ganz gut wegzustecken, doch schon bald fühlt sich jeder Höhenmeter an wie mindestens zwei oder drei. „Heute Abend machen wir ein saftiges Risotto mit Karotten und diesem weißen Käse“, sagt Freundin Isa keuchend. Plötzlich macht sich ein leichter Druck auf Kopf und Nebenhöhlen bemerkbar. Das heißt: mehr trinken, öfter rasten, aber entschlossen weitermarschieren zum Cusiri-Pass, mit 4410 Metern der höchste Punkt unserer Tour.

„Für mich kein Keks, danke.“ Auf einem steilen Kar ist der Appetit völlig verschwunden, dafür pocht es heftig hinter den Schläfen. Schon der Gedanke an Essen verursacht Übelkeit. In Sichtweite der Passhöhe fällt dann doch der Entschluss, umzukehren und an den kleinen Teichen 300 Meter tiefer zu zelten. Es dauert ewig, bis das Zelt steht und alles eingeräumt ist. Jedes Hinunterbeugen zu den Heringen oder den Rucksäcken verursacht Stiche im Kopf und eine Speichelansammlung unter der Zunge. „Käse? Igitt, den leg' ich hier in die Ecke...“ Gegen 16 Uhr sinken zwei fix und fertige Frauen aus den tieferen Lagen Mitteleuropas auf ihre Isomatten.

Am nächsten Morgen lacht die Sonne, die Kopfschmerzen sind wie weggeblasen, und auch die Wörter Käse und Risotto sind wieder positiv besetzt. Nach einem herzhaften Frühstück geht es erneut zum Cusiri-Pass hinauf, diesmal haben wir trotz der satten Steigung sogar die Muße, die Landschaft zu genießen. Am gestrigen Umkehrpunkt gibt's zur Belohnung Sesamcracker. Hinter dem Pass öffnet sich ein tiefer grüner Talkessel, der Pfad führt steil über einen Graben hinab und dann zwischen morastigen Tümpeln, gelb und rot blühenden Büschen und palmenartigen Kakteen auf einen weiteren Pass. Der Zuckerhut und sein Nachbar Toti zeigen jetzt endlich ihre spektakulären nackten Ostwände. Am frühen Nachmittag unten bei der Laguna Grande de la Plaza angelangt, ist der Rest des Tages dem Blick auf die tiefblaue Lagune und die majestätischen, schneebedeckten Giganten Zuckerhut und Toto, den Sechstausender Cóncavo im Norden und den Cerros de la Plaza im Osten gewidmet. Und der Stille. Bis Steine unter Bergschuhen knirschen. „Carlos. Freut mich sehr!“ Als abends das Risotto im Topf brodelt, taucht noch ein Grüppchen Wanderer aus der Gegenrichtung auf. Kräftiges, freudiges Händeschütteln – mit Carlos, seiner Tochter Marie und Juan-Pedro. Die drei sind seit acht Tagen unterwegs – auf einem Rundweg, immer über 4000 Metern. „Habt ihr Schokolade?“ Die achtjährige Marie steckt in leuchtend blauen Gummistiefeln und ist gut gelaunt, nur die Schokolade ist ihr ausgegangen. Carlos stammt aus der Gegend und hat jahrelang als Bergführer im Nationalpark El Cocuy gearbeitet. Als die Region zunehmend unsicherer wurde und die Touristen ausblieben, sei er mit seiner Familie nach Bogotá gezogen. „Aber jetzt kann ich endlich meiner Tochter die schönen Berge meiner Heimat zeigen!“

Patronenhülsen auf dem Weg

Am nächsten Tag geht es über die Pässe zurück zur Straße. Obwohl wir akklimatisiert sind, wird der Weg lang, und es dämmert, als wir Patronenhülsen zwischen den Steinen entdecken – „dort drüben, ein Mann mit Gewehr!“. Zwischen Büschen stehen getarnte Zelte und Männer in Uniform. Unsere nächste Nacht im Zelt, stellt sich heraus, wird vom Militär gesichert. „Hier sind jetzt überall Soldaten“, bestätigt Carlos, als wir ihn im Milchbus wiedertreffen. „Für die Wirtschaft und die Gesellschaft ist es langfristig nicht gut, dass so viel Geld ins Militär fließt“, sagt er, „aber dafür ist es sicherer.“ In Guican, dem anderen größeren Ort im Osten, findet gerade der Jahrmarkt zu Mariä Lichtmess statt. Die Händler verkaufen alle das Gleiche: aus China importiertes Spielzeug, klebrige Süßigkeiten oder Hüte und Wollponchos. Unsere Wahl: ein halbes Kilo weichen weißen Käses – Proviant für den Fahrt mit dem Nachtbus nach Bogotá.

Kolumbien – ein Wagnis? Jein.

Anreise: siehe Flüge der Woche Seite R4; Wien – Bogotá – Wien derzeit z.B. mit American Airlines mit 2 Stopps (London, Miami) 1028€; mit Air France (1 Stopp in Paris) 1165€. www.americanairlines.com
01/795 67 156
www.airfrance.com
01/ 502 222 400
Von Bogotá aus fahren täglich Direktbusse ca. 12 Stunden, ca, 15€ nach El Cocuy und Guican.

Einreise: keine Visumpflicht für Touristen.
Sicherheitslage:
hat sich gebessert. Der Süden, das Grenzgebiet zu Venezuela und die Region nördlich von Medellin sollten unbedingt gemieden werden. Der Nordosten, einschließlich Bogotá, Cocuy und der Karibikküste um Cartagena, ist sicher, die Kriminalität ist im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Staaten gering.

Veranstalter: u. a. Akademischer Reisedienst, Dertour, GEO Reisen, Ikarus/Dodotours, Ruefa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2012)


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