„Voldemorts“ dunkle Geschäfte

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Die größte US-Bank verspekulierte in sechs Wochen zwei Milliarden Dollar mit riskanten Finanzwetten. Das Fiasko rief die Bankenkritiker auf den Plan.

Washington. Jamie Dimon hatte schlechte Nachrichten zu verkünden. Doch zuerst ließ er die Glocke zu Börsenschluss verklingen, um den Aktienmarkt an der Wall Street nicht aufzuscheuchen. Erst danach berief der Chef von JP Morgan Chase in der Chefetage der Bank Donnerstagnachmittag eine Konferenzschaltung ein, in der er das volle Ausmaß eines Finanzdesasters in der Londoner Filiale enthüllte, das er anfangs noch als „Sturm im Wasserglas“ verharmlost hatte. Die größte US-Bank habe seit April zwei Milliarden Dollar bei Finanzwetten verspekuliert, teilte er in der Krisensitzung mit Anlegern mit. Und fügte hinzu: „Es könnte noch schlimmer kommen.“ Im Handel nach Börsenschluss sackte die Aktie der Bank um fast sieben Prozent ein.

Manche Analysten fühlten sich sogleich an den Herbst 2008 erinnert, als die Bankenwelt in die Finanzkrise stürzte. Seit Wochen kursieren in der Bankenbranche in New York und London Berichte über massive Verluste, kolportiert von „Bloomberg News“ und dem „Wall Street Journal“. Dimon versuchte indes, die Gerüchte zu zerstreuen. Demnach habe ein französischer Banker namens Bruno Iksil, in Insiderkreisen auch der „Wal von London“ oder „Voldemort“ – nach dem Bösewicht der Harry-Potter-Saga – genannt, hochriskante Geschäfte im Derivatenhandel forciert und sich im großen Stil verspekuliert.

Als Jamie Dimon jetzt den Schaden eingestand, schlug er sich schuldbewusst auf die Brust. „Irrtümer, Schlamperei und schlechtes Urteil“ hätten zu dem Fiasko geführt. Die Prinzipien des Hauses seien verletzt worden. Die Corporate Group, das Kernunternehmen der Bank, erlitt allein im zweiten Quartal einen Verlust von 800 Mio. Dollar. Veranschlagt war indessen ein Gewinn von 200 Mio. Dollar. JP Morgan Chase hat die Finanzkrise vor vier Jahren ohne katastrophale Blessuren überstanden. Im Vorjahr erwirtschaftete die Bank einen Gewinn von beinahe 19 Milliarden Dollar. Und auch für 2012 schien der Erfolg vorgezeichnet: Das Plus im ersten Quartal betrug satte 5,4 Mrd. Dollar.

Jamie Dimon avancierte zum mächtigsten US-Banker, manche apostrophieren ihn als „König der Wall Street“. Nun sind seine Qualitäten als Krisenmanager gefragt. Über den Imageschaden hinaus sind die Folgen unabsehbar. Es droht ein Schneeballeffekt: Im dritten Quartal könnte die Bank weitere Verluste in Milliardenhöhe erleiden.

Widerstand gegen „Volcker-Regel“

Dimon räumte ein, dass sich die Kritiker durch die Geschäftspraktiken der Banken bestätigt sehen könnten. Die Kritik folgte prompt. Die Steuerzahler dürften unter keinen Umständen für die Risikowetten zur Kasse gebeten werden, polterte der demokratische Senator Carl Levin. Die Nothilfe für die Wall Street sitzt den Amerikanern immer noch wie ein Stachel im Fleisch. Levin erklärte, das jüngste Finanzdebakel sei erneut Beweis für eine zügige Umsetzung der hinausgeschleppten „Volcker-Regel“.

Paul Volcker, der ehemalige US-Notenbankchef und Sonderberater Barack Obamas, steht Pate für ein Maßnahmenpaket, das den Spekulationen der Banken einen Riegel vorschieben soll. Nachdem der Kongress vor zwei Jahren eine abgeschwächte Finanzmarktreform verabschiedet hat, soll die „Volcker-Regel“ demnächst endlich in Kraft treten.

Die Wall Street betrieb massives Lobbying gegen die Reform, Jamie Dimon ist ein dezidierter Gegner der sogenannten „Volcker-Regel“. Er hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie zu durchlöchern. Darunter hat auch das einstige Naheverhältnis zu Präsident Obama gelitten. In einem Interview mokierte sich der JP-Morgan-Chef jüngst über die Kontrollmechanismen der „Volcker-Regel“: „Wenn du einen Handel eingehen willst, brauchst du künftig einen Juristen und einen Psychiater an deiner Seite, die über deine Absichten urteilen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2012)

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