Die Hölle, das ist die Ehe

In vielem war er der Erste: Er hat das epische Theater vorbereitet, er hat das Mystische auf die Bühne gehoben, er hat das Surreale theaterfähig gemacht. Am 14.Mai vor 100 Jahren ist er gestorben. Wie tot ist August Strindberg?

Seine Stücke werden selten gespielt. Von der großen „Frankfurter Ausgabe“ in zwölf Bänden, die in den 1980er-Jahren vom Insel-Verlag begonnen wurde, sind nur drei Bände lieferbar. Sein Andenken ist zum Schlagwort verkommen, das mit „Ehehölle“ in Verbindung gebracht wird. Und ist es nicht so, dass sich die Themen seiner berühmtesten Dramen weitgehend erledigt haben?
„Der Vater“ (1887) zum Beispiel: Der Satz „Pater incertus est“ ist inzwischen dank der genetischen Forschung endgültig widerlegt; die Vaterschaft ist feststellbar. Oder „Fräulein Julie“ (1888): Dass es Sex ohne Seele gebe, dass sich Begierde ohne Liebe entfalten könne, galt als pathologische Abnormität. Heute ist das kein Aufreger mehr. Die Geschlechterschlacht im „Totentanz“ gehört inzwischen zum banalen Schrecken des Zusammenlebens. In den 1880er-Jahren war „das Weib“ zur „Frage“ geworden.

Inzwischen ist die „Frauenfrage“ zumindest auf dem Papier außer Streit gestellt. Die Auseinandersetzungen sind schärfer geworden und spielen sich im gesellschaftlichen Raum und im politischen Rahmen ab – es bedarf dazu keiner abgeschiedenen Räume mehr wie des „Totentanz“-Leuchtturms. Es genügt die Wohnküche im Gemeindebau. Die Strindberg-Nachfolger aus dem hohen Norden (Enquist, Ingmar Bergmann, Lars von Trier, Thomas Vinterberg) lassen Strindbergs Ausnahmesituationen alt aussehen.

Zudem waren seine Stücke bis vor Kurzem dramaturgisch anfechtbar. Anders als Ibsens Reißbrettanalysen, in denen alle Details aufeinander bezogen sind, hat Strindberg die Szenen sorglos locker gefügt. Die Knoten sind allzu durchsichtig geschnürt, die Hauptfiguren durch unvermittelte Schrullen gekennzeichnet, die Nebenfiguren nur Zuträger von Argumenten. Strindberg beruft sich dabei auf die Laxheit Shakespeares. (Seine „Ophelia“-Charakterisierung im „Blaubuch“ ist ein dramaturgisches Lehrstück.) Inzwischen haben sich offene Formen im Theater durchgesetzt. In vielem war er der Erste. Er hat die homerischen Stationen ins Drama übertragen und damit das epische Theater vorbereitet. Er hat den Naturalismus auf die Spitze getrieben, das Mystische auf die Bühne gehoben, das Okkulte ernst genommen (mit seiner Wiedergängertheorie sah er sich als Nachfolger Edgar Allen Poes, der in Strindbergs Geburtsjahr, 1849, gestorben war). Er hat das Surreale theaterfähig gemacht und damit das absurde Theater vorweggenommen.

Strindbergs ausuferndes Prosawerk ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Nur sein erster großer Erfolg, der gesellschaftskritische Roman „Das rote Zimmer“ (1879), wird immer wieder neu übersetzt. Zuletzt von der Wienerin Renate Bleibtreu, die auch in den noch längst nicht gänzlich erschlossenen Nachlass-„Säcken“, „Notizen eines Zweiflers“, fündig geworden ist.

Am meisten Aufsehen haben über seinen Tod hinaus die Schriften erregt, in denen er autobiografisches Material in nicht beschönigender Weise verwendet. Das hat sein Bild vom „Frauenhasser“ geprägt, der in drei Ehen gescheitert ist. Die mittlere, die Verbindung mit Frida Uhl, der Tochter des langjährigen Herausgebers der „Wiener Zeitung“, führte ihn von 1893 bis 1896 in den Strudengau. Neben einem aufwendig gemachten Bildband zum Zwecke der Tourismuswerbung ist jetzt ein Buch über diese Beziehung erschienen, „Madame Strindberg oder Die Faszination der Boheme“, vom verdienten Strindberg-Forscher Friedrich Buchmayr, der in Saxen (OÖ) das einzige Strindberg-Museum außerhalb Schwedens aufgebaut hat.
Er hat sorgfältig eine so große Menge Details über Frida Uhls umtriebige Tätigkeiten zusammengetragen, dass man immer wieder auf ihn zurückkommen muss, auch wenn der Rückgriff auf die Monografie von Monica Strauss, „Cruel Banquet. The Life And Loves of Frida Strindberg“, nicht verzichtbar geworden ist. Buchmayr weiß zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden, aber die Identifizierung von Wirklichkeit und Fiktion ist immer noch üblich.

Nun sind aber Leben und autobiografisches Werk eines Schriftstellers zwei Parallelen, die sich erst in der Unendlichkeit treffen. Manchmal kommen sie sich gefährlich nahe, aber sie schneiden sich nie. Bei Strindberg geht es auch in intimeren Schriften wie Tagebüchern und Briefen sehr konstruiert, konzipiert und intentional zu. Auch die Spontaneität ist kalkuliert. Die Widerlegung offensichtlicher Irrtümer, die Aufdeckung offenbarer Widersprüche, die Entgegnung der Kontrahenten gleiten am geschliffenen Stein der Artefakte ab. Gegenentwürfe wie Frida Strindbergs Memoiren, „Lieb, Leid und Zeit“ (1936), sind ebenso sehr Literatur wie Strindbergs Bekenntnisbücher.
Verwendete Details sind Bausteine einer wüsten und einsturzgefährdeten literarischen Architektur, keine Angelpunkte des gelebten Lebens, das verwerflich ist, weil unvollkommen.

Seine Liebesentwürfe sind illusionistische Vorstellungen vom Ideal. Jeder Versuch, die Liebe als delikate Balance zu leben, muss am Anspruch und am Unvermögen scheitern. Simples Beispiel: In der ideal-harmonischen Beziehung fällt kein böses Wort. Wenn es aber doch unbedacht einem Partner herausrutscht, ist der Vorsprung, den das Wort vor einer nachfolgenden besänftigenden Tat hat, begleitet von unzähligen versöhnlichen Sätzen, uneinholbar. Es gibt da keinen Widerruf. Möglicherweise kann es vom Partner verziehen werden, aber der es gesagt hat, kann es sich selbst nicht verzeihen und macht damit den Fortbestand der Beziehung unmöglich. Der Held eines seiner schönsten Stücke, „Wetterleuchten“, vergewissert sich in den Jahren nach dem Scheitern seiner Ehe eben nicht der verlorenen Liebe, sondern der Erinnerung an ihre anfängliche Vollkommenheit.

Strindberg wünscht sich die Zeiten des Patriarchats nicht zurück, aber er fürchtet die Umkehrung, dass sich die emanzipierten Frauen männlich-herrschsüchtiger Methoden bedienen und die Männer unterwerfen. Sein mythisches Schreckbild ist Omphale, die den stärksten der Männer, Herkules, zwingt, Frauenkleider zu tragen und ihr dienstbar zu sein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2012)


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