Der Kult um Dr. Karl Lueger – aber was war seine Leistung?

Gastkommentar. Der gefeierte Wiener Bürgermeister war ein peinlicher Lokalpolitiker, der Barbarismen seiner Zeit gefördert und nicht bekämpft hat.

Dr. Karl Luegers Selbstreklame, sein von ihm initiierter Kult um seine Person hat seinen Zauber verloren, aber marginal wirkt er immer noch weiter. Wie sonst ist es zu erklären, dass ein Wiener FPÖ-Politiker glauben kann, ohne die „Lichtgestalt“ Lueger wäre die „gute Wasser- und Energieversorgung oder das Straßenbahnnetz Wiens undenkbar“?

Die gute Wasserversorgung undenkbar? Dieser Glaube grenzt ans Absurde. Bekanntlich waren die großen Cholera- und Typhusepidemien schon mit dem gesunden Wasser aus der ersten Hochquellwasserleitung ausgerottet.

Diese erste Wiener Hochquellwasserleitung wurde aber im Jahre 1873, 24 Jahre vor der Amtsübernahme Luegers fertiggestellt und ist dem damaligen Bürgermeister Cajetan Felder und vielleicht noch mehr seinem wissenschaftlichen Ratgeber, dem langjährigen Präsidenten der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Eduard Suess, zu verdanken.

Beide wurden für ihren damals revolutionären Vorschlag, das gesunde Wasser mit einer 100 Kilometer langen Wasserleitung von der Rax nach Wien zu leiten, anfänglich für verrückt gehalten. Die Worte „Suess, Sie sind ein Narr!“ musste sich der Geologe Eduard Suess von dem inzwischen völlig zurecht vergessenen Amtsvorgänger Cajetan Felders anhören, als er die Wasserleitung von der Rax erstmals vorschlug.

Minimale Widerstände

Die Widerstände, die Bürgermeister Lueger für die Durchsetzung der zweiten Hochquellwasserleitung überwinden musste, waren im Vergleich zu den Debatten in den 1860er-Jahren minimal. Trotzdem muss man öfters lesen, die Wiener verdankten Lueger das „gute Wasser“.

Und warum sollte die Elektrizitätsversorgung und das Straßenbahnnetz ohne Lueger undenkbar sein? Alle Großstädte haben um die Jahrhundertwende die damals neuen technischen Möglichkeiten, die Elektrifizierung der Straßenbahnen, die Modernisierung der Straßenbeleuchtung umgesetzt. Auch die Berliner waren stolz auf ihre moderne Straßenbeleuchtung mit Brennern, die Auer von Welsbach erfunden hat, und Budapest zum Beispiel hatte schon seit 1896 eine elektrische Untergrundbahn und war damit nach London die erste Stadt auf dem europäischen Kontinent mit einer U-Bahn. Aber den Bürgermeistern jener europäischen Großstädte, die Ähnliches wie Lueger bewirkt haben, wurden keine Kirchen und Brücken geweiht und ihre Denkmäler dominieren nicht das Stadtbild.

Was blieb, sind Zynismen

Mich freut die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings in Universitätsring. Ich finde es schon lange falsch, dass aus dieser unvergleichlichen Generation der Jahrhundertwende, deren Gedanken und Werke die ganze Welt befruchtet haben, ausgerechnet der damalige Bürgermeister im öffentlichen Raum Wiens am meisten geehrt wird.

Was war denn überhaupt seine Leistung, die ihn so hoch über alle anderen seiner Generation emporhebt? Warum sollen wir heute noch einem Wiener Politiker im Stadtbild von Wien größere Dankbarkeit bezeugen als allen anderen verdienten Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern, denen vereinzelt nur kleine Sackgassen gewidmet sind?

Niemand bestreitet, dass Lueger durchsetzungsfähig und volkstümlich war. Er hat manchesterliberale Initiativen erfolgreich bekämpft, die Straßenbahnen und Energieversorgung kommunalisiert, städtebaulich Großartiges geleistet – und die Anzahl der Gemeindebediensteten mehr als verzehnfacht.

Aber Lueger hat keinen einzigen Gedanken hinterlassen, an den ein heutiger Politiker sinnvoll anknüpfen könnte. Alles, was von ihm geblieben ist, sind ein paar Zynismen gegen Juden und andere Minderheiten.

Es stimmt auch nicht, dass Lueger „niemals [...] seiner judenfeindlichen Rede Taten folgen“ ließ, wie kürzlich der Historiker Wolfgang Maderthaner („Die Presse“ vom 3. Mai.) schrieb. Lueger hat zum Beispiel während seiner Amtszeit aus antisemitischen Gründen verhindert, dass jüdische Gemeindebedienstete befördert und Juden bei der Gemeinde Wien angestellt wurden.

Das überschwängliche Lob in „Mein Kampf“ hat Luegers Nachruhm in der zivilisierten Welt den Rest gegeben. Im Vergleich zu Gustav Mahler, Sigmund Freud, Ludwig Boltzmann und den anderen wirklichen Lichtgestalten ihrer Generation war Lueger ein peinlicher Lokalpolitiker, der die Barbarismen seiner Zeit gefördert und nicht bekämpft hat.

Das gemütliche Wiener Volk

Vielleicht hat Lueger wirklich geglaubt, dass antisemitische Agitation im goldenen Wiener Herz keinen größeren Schaden anrichten könne, wie er 1902 einem besorgten jüdischen Abgeordneten gegenüber erklärte. Dr. Lueger zu Dr. Benno Straucher: „Gengen S', das Wiener Volk ist ein derart gemütliches, dass es sich zu wirklichen Ausschreitungen gegen Juden nicht hergeben wird.“ Lueger hat sich getäuscht.

Es gab in den letzten Jahren viele Vorschläge zur Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings: Von Anna-Freud-Ring, Sigmund-Freud-Ring, Bertha-von-Suttner-Ring und Ludwig-Wittgenstein-Ring war die Rede. Wenn der Wiener Stadtrat jetzt eine Diskussion über würdigere Personen als Namensgeber vermeiden will und eine schlicht-sachliche Straßenbezeichnung vorzieht, soll mir das recht sein. Ich bin froh, dass wenigstens dort Lueger nicht mehr geehrt wird.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comGerald Krieghofer (* 12. 6. 1953 in Lienz) studierte Philosophie und Politikwissenschaft in Wien. Mitarbeit beim Serapionstheater und bei philosophischen und literaturwissenschaftlichen Projekten. Freier Mitarbeiter der Kommission Fackellex der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2012)

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