Ägypten: Der rasende Präsidentschaftskandidat

(c) EPA (AHMED HAYMAN)
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Auf Wahlkampftour mit Abul Futuh. Der ehemalige Muslimbruder gilt als einer der Favoriten im Rennen um das höchste Amt im Staat.

Bilqas. Der präsidiale Wahlkampf beginnt wie der Arbeitstag der meisten Einwohner Kairos. Abdel Monem Abul Futuh steckt im Stau. Es ist ein bescheidener Konvoi eines Mannes, der nach dem höchsten Amt Ägyptens strebt: zwei Autos, zwei Leibwächter, ein Fotograf, drei Wahlkampfmanager, ein Journalist. Ziel ist das Nildelta im Norden. Die Leibwächter versuchen verzweifelt zu verhindern, dass sich jemand zwischen ihren und den Wagen ihres Schutzbefohlenen drängt. Ein hoffnungsloses Unterfangen.

Abul Futuh gilt neben Amr Musa, dem ehemaligen Chef der Arabischen Liga, als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für das Präsidentenamt. Der Arzt hat eine ungewöhnliche politische Karriere hinter sich: Er ist ein Ehemaliger der Muslimbruderschaft. Die hatte ihn 2011 wegen seiner liberalen Ansichten ausgeschlossen. Doch trotz seiner Weltoffenheit ist sein islamistischer Hintergrund nicht zu übersehen. Begonnen hatte er in den 1970er-Jahren als Studentenführer bei den „Islamischen Gruppen“. Als diese immer militanter wurden, schloss sich Abul Futuh der moderateren Muslimbruderschaft an, gelangte dort in die obersten Ränge, wurde aber in den letzten Jahren an den Rand gedrängt. Er hat einen Lebensweg der Öffnung hinter sich.

Stilles Gebet

Erst am Stadtrand geht es für den Konvoi zügiger voran. Eine halbe Autostunde später hält er bei einer kleinen Moschee am Rande der Landstraße. Die Entourage bleibt bei den Fahrzeugen. Abul Futuh reicht dem Fahrer sein Jackett und zieht sich zum Mittagsgebet zurück. Ein paar Minuten, in denen für ihn die Handys seiner Wahlkampfleiter nicht zu hören sind. Welches Gebet er wohl gen Himmel schickt, wenige Tage vor der Wahl am 23.Mai?

Die Fahrt geht weiter, fast wie durch Feindesland. Überall lächelt Amr Musa von Plakaten entgegen. Gelegentlich ist auch ein weiterer Kandidat, Ahmad Schafiq, der letzte Premier Mubaraks, zu sehen. „Es ist schwer, sich vorzustellen, dass ein Mann des alten Regimes die Wahl gewinnen kann. Der Gewinner wird ein Repräsentant der Revolution sein. Ich hoffe natürlich, dass ich das bin.“

Salafisten, der jüngere Teil der Muslimbrüder, Linke und Liberale – es ist ein bunter Haufen, der hinter Abul Futuh steht. Wie er das alles unter einen Hut bringen will? „Dass mich so viele unterstützen, heißt nicht, dass ich deren Ideologie übernehme“, antwortet er diplomatisch. Er spricht von seinen Prioritäten, den Polizeiapparat zu reformieren, die Institutionen vom alten Regime zu säubern. Wie er die künftige Rolle des Militärs sehe, das im Moment alle wichtigen Entscheidungen trifft? „Die Armee ist der gewählten politischen Führung verpflichtet.“

In der Nildelta-Kleinstadt Mit Ghamr wartet eine Fahrzeugkolonne meist Jugendlicher auf den Kandidaten. Hupend, wie auf einer ägyptischen Hochzeit, geht es weiter. Ihre Autos sind im Rückfenster meist mit großen Postern dekoriert „Abul Futuh for President“, heißt es dort, daneben prangt ein Pferd, das Symbol des Kandidaten auf dem Wahlzettel, für alle, die nicht schreiben können. Und davon dürfte es in dieser Gegend viele geben. Zwar ist das Nildelta der Brotkorb Ägyptens, aber hier herrscht zum Teil bittere Armut, und der landesweite Schnitt von vier von zehn Ägyptern, die nicht lesen und schreiben können, dürfte hier um Einiges überboten werden.

Triumphaler Einzug

Die Kandidaten-Karawane zieht weiter Richtung Bilqas, wo ein Zelt auf Abul Futuh wartet. Vor wenigen Tagen war auch dessen Rivale Amr Musa in der Kleinstadt. Vor allem die jüngeren Einwohner von Bilqas bereiten Abu Futuh einen triumphalen Einzug. Die meisten wollen, dass der zukünftige Präsident für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt. „Die Einkommen müssen gerechter verteilt werden, alles ist so teuer geworden“, meint der Taxifahrer Masarawi El-Sayyed.

Nermin Saleh, die gerade mit ihrem Übersetzerstudium fertig ist, wünscht sich „einen volksnahen Präsidenten, der zeigt, dass der Islam nicht extremistisch ist“. Die modisch gekleidete junge Frau mit Kopftuch fügt hinzu: „Ich fordere auch, dass meine Rolle als Frau in der Gesellschaft anerkannt wird.“

Der Krämerladen-Besitzer Marai Abdallah steht etwas abseits. „Ich will weder einen Muslimbruder noch einen Salafisten, die machen das Land nur kaputt“, meint er. Abul Futuh traue er nicht, der sei immer noch ein verkappter Islamist. Weswegen er Amru Musa seine Stimme geben werde.

Er habe noch nie in seinem Leben so viel gearbeitet, erzählt der Fahrer Abul Futuhs, als er hinter dem Wahlkampfzelt in Bilqas auf seinen Chef wartet. Immer wieder treibe der ihn an, noch schneller zu fahren, wenn der 62-Jährige auf der Fahrt von einem Auftritt zum anderen nicht gerade für ein paar Minuten seine Augen schließt.

Es ist sechs Uhr abends, vier Veranstaltungen im Nildelta liegen noch vor dem Kandidaten. Der Chauffeur blickt besorgt auf die Uhr. „Ich muss jetzt dann richtig auf die Tube drücken“, kündigt er an und fügt grinsend hinzu: „Wer Ägyptens nächster Präsident werden will, der hat keine Zeit zu verlieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2012)

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