Genießen internationale Organisationen Immunität?

Geniessen internationale Organisationen Immunitaet
Geniessen internationale Organisationen Immunitaet(c) FABRY Clemens
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Eine an der Staatenimmunität orientierte Ausnahme von der Gerichtsbarkeit könnte potenzielle Kläger allzu sehr behindern.

Wien. Zahlreiche Staaten, darunter auch Österreich, sind sehr daran interessiert, Sitzstaaten von internationalen Organisationen zu werden. Trotz der steuerlichen Privilegien, die ihnen routinemäßig eingeräumt werden, scheint die Umwegrentabilität der vermehrten lokalen Ausgaben durch solche Organisationen und ihre Bediensteten auch wirtschaftliche Vorteile für Sitzstaaten mit sich zu bringen. Dazu kommen noch das politische Prestige und der unwägbare Sicherheitsgewinn, den man sich etwa in Österreich einst durch die Ansiedlung der Vereinten Nationen in einem neutralen, von Nato- und Warschauer-Pakt-Staaten eingekeilten Land erhofft hat.

Wie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, stehen Sitzstaaten in einem regelrechten Wettbewerb untereinander und müssen, um attraktiv zu sein, internationalen Organisationen nicht nur abgabenrechtliche Privilegien, sondern auch zahlreiche Immunitäten einräumen, um deren ungehindertes Funktionieren zu garantieren. Als wichtigste Immunität hat sich die Ausnahme von der staatlichen Gerichtsbarkeit erwiesen. Gründungsverträge, multilaterale Privilegien- und Immunitätenübereinkommen, Sitzabkommen sowie staatliche Immunitätengesetze, wie etwa in Österreich das Privilegiengesetz (BGBl Nr 677/1977), sehen regelmäßig eine Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit vor.

Funktionell oder absolut

Allerdings scheint der Umfang der darin verliehenen Immunität unterschiedlich weit gefasst zu sein. Während die meisten Gründungsverträge eine funktionelle Immunität (jene „Immunitäten, die zur Verwirklichung der Ziele einer Organisation erforderlich sind“ wie in Artikel 104 Satzung der Vereinten Nationen) vorsehen, verleihen multilaterale und bilaterale Verträge oft eine unqualifizierte absolute Immunität. Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich, wenn einzelne Rechtsquellen (wie etwa die amerikanische Gesetzgebung, der International Organizations Immunities Act aus 1945) die Immunität von internationalen Organisationen an jene von Staaten angleichen. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich in den meisten OECD Staaten der Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität durchgesetzt. Demnach genießen Staaten nur für hoheitliche Tätigkeiten Immunität von der Gerichtsbarkeit, nicht jedoch für kommerzielle bzw. privatwirtschaftliche Handlungen („Iure-gestionis-Aktivitäten“). Auch der OGH hat durch seine international beachtete Leitentscheidung im Falle Hoffmann gegen Dralle aus 1950, SZ23/143, zu dieser Entwicklung beigetragen. Mit der (noch nicht in Kraft getretenen, jedoch weitgehend als Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht angesehenen) UN-Konvention über die Staatenimmunität aus 2004 hat dieser Grundsatz der beschränkten Gerichtsimmunität für hoheitliche Akte ausländischer Staaten praktisch weltweite Anerkennung gefunden.

Für internationale Organisationen und ihre Sitzstaaten bedeutet dies eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit. In den USA und in Italien messen Gerichte die Immunität internationaler Organisationen häufig am Maßstab der Staatenimmunität; in einigen Staaten wird versucht, dem Begriff der funktionellen Immunität eine einschränkende Wirkung zu verleihen. Die meisten Gerichte, darunter auch österreichische, rekurrieren jedoch auf eine absolute Immunität, die jedenfalls dem Zweck dient, das ungehinderte Funktionieren der Organisation nicht zu beeinträchtigen. Im Unterschied zu Staaten wird dabei im Fall von internationalen Organisationen davon ausgegangen, dass nahezu jede ihrer Tätigkeiten funktionell notwendig sei, da die Funktionen internationaler Organisation im Prinzip in einem Gründungsvertrag beschränkt definiert werden. Wie allerdings auch kürzlich bei einer international besetzten Konferenz am Wiener Juridicum deutlich wurde, erscheint fraglich, ob die absolute Konzeption der Immunität damit nicht über das Ziel hinausschießt. Denn durch die wachsende Anzahl von internationalen Organisationen und die Ausweitung ihrer Tätigkeiten sind internationale Organisationen vermehrt als Dienstgeber, Kreditnehmer, Auftraggeber, Käufer oder Mieter innerhalb verschiedener nationaler Rechtsordnungen aktiv – vermutlich in weit größerem Ausmaß als die meisten Staaten.

Zugang zu Gericht ist zu wahren

Somit bedeutet jede Immunitätsgewährung für potenzielle Kläger, dass ihnen der Zugang zu Gericht verwehrt wird. Diesen Aspekt hat auch der EGMR in seiner Grundsatzentscheidung Waite and Kennedy aus 1999 festgehalten, als er davon gesprochen hat, dass die zum unabhängigen Funktionieren einer internationalen Organisation erforderliche Gerichtsimmunität nicht dazu führen darf, dass das in Artikel 6 EMRK verankerte Grundrecht auf Zugang zu Gericht vereitelt werden darf. Um diesen inhärenten Widerspruch aufzulösen, postulierte Straßburg, dass eine Immunität nur dann gewährt werden darf, wenn ein adäquater alternativer Rechtsschutz gegen die jeweilige internationale Organisation vorhanden ist. In der Regel sind dies bei dienstrechtlichen Streitigkeiten die Verwaltungstribunale der jeweiligen Organisationen oder bei Klagen Dritter Schiedsverfahren. Die Waite-and-Kennedy-Rechtsprechung hat in den letzten Jahren zahlreiche staatliche Gerichte in Europa inspiriert und führte zu einer Einschränkung der oft als absolut angesehenen Immunität internationaler Organisationen.

Univ.-Prof. MMag. Dr. Reinisch, LL.M. ist Vizedekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und ebendort Leiter der Abteilung für Völkerrecht und Internationale Beziehungen. Er leitet ein europäisches Projekt zum Thema Immunität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2012)

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