NS-Wiederbetätigung: Wieder Wirbel beim Küssel-Prozess

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Auch der zweite Anlauf zum Wiederbetätigungsprozess gegen Gottfried Küssel am Straflandesgericht Wien geriet aus dem Ruder: Die Verteidigung rügte eine nicht nachvollziehbare Geschworenenauswahl.

Wien. Vorige Woche platzte der Wiederbetätigungsprozess gegen Gottfried Küssel (54), die Leitfigur der österreichischen Neonazi-Szene. Von 22 geladenen Geschworenen waren nur sieben erschienen. Eine Geschworenenbank muss aber acht Personen umfassen. Für den neuen Anlauf am Montag waren „sicherheitshalber“ gar 39 Geschworene geladen. Viele kamen zwar wieder nicht, aber es waren genug, um die „Bank“ besetzen zu können. Trotzdem kam es erneut zu geradezu peinlichen Szenen: Die Verteidigung verlangte Einblick in die Ladungsliste der Geschworenen – darauf war das Gericht aber nicht vorbereitet.

Der Reihe nach: Zu Beginn der wieder mit Verspätung beginnenden Verhandlung im Straflandesgericht Wien stehen die schon üblichen, schlechthin unwürdigen Tumulte. Niemand kümmert sich darum, dass Angehörige, Journalisten, Kameraleute, Fotografen, Prozessbeobachter etc. geordnet den (zu kleinen) Gerichtssaal betreten können. Wer am schnellsten laufen kann, erhascht einen Sitzplatz. Wer nicht, wird unsanft des Saales verwiesen.

Streit um Video der Anklage

Nachdem Gottfried Küssel und die beiden Mitangeklagten Felix B. (34) und Wilhelm A. (40) unter martialischer Bewachung – zehn Justizwachebeamte sowie der Verfassungsschutz sind im Einsatz – auf der Anklagebank Platz genommen haben, wettert die Verteidigung gegen das Vorhaben von Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter, die Anklage per PowerPoint-Präsentation darzulegen.
Demnach wird „Mastermind“ Küssel beschuldigt, die Registrierung einer Homepage (alpen-donau.info) mit rassistischen Inhalten veranlasst zu haben. B. soll für die „inhaltliche Gestaltung“, A. für die „technische Betreuung“ zuständig gewesen sein. Das Trio bestreitet dies.

Noch ehe die Präsentation des Anklägers beginnt, beantragt die Verteidigung, dies nicht zuzulassen. Ein mündlicher Vortrag müsse genügen. Der Senat, Vorsitz: Richterin Martina Krainz, weist den Antrag ab. Denn: Es werde nichts gezeigt, das sowieso „in Augenschein“ genommen werden müsse (Beispiel: ein Video).
Kaum startet der Ankläger seine Präsentation, kündigt er auch schon die Vorführung eines Hetz-Videos an, welches seinerzeit von den Angeklagten verbreitet worden sei. Wütende Proteste der Verteidigung. Erneut zieht sich der Senat zurück, beratschlagt – und lässt auch das Video zu. Dann will die Anwaltsriege um Michael Dohr (für Küssel) und Mirko Matkovits (Wilhelm A.) wissen, ob die Geschworenen auch gemäß der Reihenfolge der Ladungsliste eingeteilt worden seien.

Was folgt, ist eine der kuriosesten Szenen der jüngeren Prozessgeschichte. Die Richterin zu den Anwälten: „Sie können gerne in die Abteilung 20 gehen, dort liegen die Listen auf.“ Gesagt, getan. Drei Anwälte marschieren in ihren schwarzen Talaren in besagte Abteilung. Warten im Gerichtssaal. Nach zehn Minuten ruft die Richterin in „Abteilung 20“ an. Nichts. Dann ein zweiter Anruf. Diesmal ist einer der Anwälte am Telefon. Es folgt die Rückkehr in den Saal. Nun rügen die Anwälte, dass es sich trotz der Exkursion nicht nachvollziehen lasse, ob die eingeteilten Geschworenen tatsächlich streng nach vorgeschriebener Reihenfolge ausgewählt worden seien. Verteidiger Matkovits meint, dass der ganze Prozess möglicherweise nichtig sei. Erst am Nachmittag halten die Anwälte ihre Eröffnungsvorträge. Fortsetzung der Verhandlung am Mittwoch.

Neonazi-Prozess auch in Graz

Indessen wurde am Montag auch der im Grazer Straflandesgericht geführte NS-Wiederbetätigungsprozess gegen zehn Beschuldigte fortgesetzt. Dabei geht es unter anderem um brutale Schlägereien in einem Grazer Lokal. Einer der Beschuldigten dort ist der Küssel-„Kamerad“ Franz Radl.

Auf einen Blick

Auseinandersetzungen zwischen Gericht und Verteidigung begleiteten am Montag den Auftakt des Geschworenenprozesses gegen Gottfried Küssel, Felix B. und Wilhelm A. Das Trio ist wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung angeklagt. Die Männer bestreiten die Vorwürfe. Am Mittwoch wird die Verhandlung im Grauen Haus fortgesetzt.

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