Justitias Pfusch mit Küssel

Bei einer Gerichtsverhandlung sollte es nicht zugehen wie bei einer Media-Markt-Eröffnung.

Die Tür geht auf – und es wird geschrien, gedrängelt und gestoßen. Es sind Szenen, wie man sie von der Eröffnung einer Media-Markt-Filiale kennt, bei der sich tausende Schnäppchenjäger um günstige Elektronik streiten. Doch besagte Szene spielte sich am Montag im Wiener Straflandesgericht ab. An einem Ort, an dem das Faustrecht nicht gelten sollte.

Doch der Tumult beim Zutritt ist nur ein kleiner Aspekt – im Prozess rund um Neonazi Gottfried Küssel offenbaren sich die Planlosigkeit des Gerichts und das scheinbare Desinteresse an einer ordentlichen Verhandlungsführung mehrfach. Zum eigentlichen Prozessbeginn vergangene Woche schaffte man es nicht, genügend Geschworene aufzustellen. Beim gestrigen Versuch gelang die Übung zwar – allein, das Gericht war nicht imstande, der Verteidigung darzulegen, ob die Geschworenen auch korrekt ausgewählt wurden, weil man den Anwälten zuvor nicht ausreichend Einblick in die Liste gewährt hatte. Damit servierte man die Möglichkeit zur Anfechtung wegen Nichtigkeit geradezu auf dem Silbertablett.

Gerade bei einem Prozess mit derart öffentlichem Interesse sollte das Gericht besonders um eine professionelle Organisation bemüht sein – weil der Fall die Öffentlichkeit interessiert und man dementsprechend in der medialen Auslage steht. Bleibt am Ende der Anschein von Pfusch, braucht man sich über einen Vertrauensverlust in die Justiz jedenfalls nicht zu wundern.

erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2012)

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