EU-Gipfeltreffen: Politik greift wieder in Krise ein

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Erstmals seit Beginn der Krise ist die Linke im Aufschwung. Allen voran will sich Frankreichs Präsident Hollande gegen die Sachzwänge stemmen. Doch die sind enorm. Spanien steht vor einem Bankenproblem.

Brüssel. 56 Prozent der Deutschen wollen laut Umfrage der deutschen Zeitung „Die Zeit“ einen Euro ohne Griechenland, der Regierung in Athen geht laut dem früheren Ministerpräsidenten Lukas Papademos möglicherweise schon vor den Wahlen am 17.Juni das Geld aus, und in den Finanzministerien der übrigen Euroländer schreibt man heimlich Notfallpläne für den „Grexit“, wie man das griechische Ausscheiden aus der Eurozone im Finanzenglisch seit Neuestem zu nennen pflegt.

Währenddessen steht Spanien vor einem Bankenproblem, das es aus eigener Kraft vermutlich nicht lösen kann, was sich unmittelbar auf Italiens Zahlungsfähigkeit auswirken würde.

Drückend sind also die Sachzwänge, die das Handeln der 27 Staats- und Regierungschefs begrenzen. Doch wie schon so oft ließen die EU-Chefs auch am Mittwochabend die Finger von diesen heißen Eisen. Man wolle sich nur über allgemeine Fragen der Konjunkturpolitik austauschen; das Treffen sei informell; Beschlüsse seien also ohnehin nicht vorgesehen. „Es geht darum, alle Ideen für das Wachstum auf den Tisch zu legen“, sagte der neue französische Präsident, François Hollande.

Eines allerdings war anders: Die Konservativen hatten nicht mehr die uneingeschränkte Meinungshoheit am Tisch der Staats- und Regierungschefs. Ihre Diagnose der Ursachen des Problems – Europas Staaten haben über ihre finanziellen Verhältnisse gelebt – bleibt nun ebenso wenig unwidersprochen wie die allen voran von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel verordnete Kur des Sparens.

Linke Wende deutet sich an

Denn im vierten Jahr nach der Lehman-Brothers-Pleite, im dritten Jahr der Griechen-Krise zeigt sich, dass Austerität allein nicht die Saat für einen volkswirtschaftlichen Aufschwung ist. „Verantwortungsvolles Haushalten: ja. Austerität als Lebensschicksal: nein“, lautet Hollandes Credo.

Mit dem Franzosen hat Europas Linke einen neuen Hoffnungsträger, und auch in den Eurostaaten Belgien und der Slowakei sind mittlerweile mit Elio di Rupo und Robert Fico Sozialdemokraten am Ruder. In Deutschland eilt die SPD bei Landtagswahlen und in den Umfragen von einem Erfolgserlebnis zum anderen, und auch in den Niederlanden hat die Linke bei den Parlamentswahlen Anfang September sehr gute Aussichten.

Hollandes Amtsantritt scheint zudem auch den bisher so zaudernden österreichischen Bundeskanzler zu einer klaren politischen Festlegung ermuntert zu haben. Werner Faymann ist nun offen für die Vergemeinschaftung der Staatsschulden der Eurostaaten. Damit legt er sich quer zur bisher klaren Haltung Merkels, die von solchen Eurobonds erst dann etwas wissen will, wenn es in Europa eine einheitliche Wirtschaftspolitik gibt – was auch immer das heißen mag.

Wettstreit politischer Ideen

Freilich: Ob es jemals Eurobonds geben wird, wie sie dann aussehen und wann sie gegebenenfalls eingeführt werden, steht in den Sternen. Und schon bald kann sich Hollandes politischer Gestaltungswille an den eingangs erwähnten haushalts- und finanzpolitischen Zwängen die Hörner abstoßen. „Die Märkte werden Hollande zwingen. Mitterrand hatte 18 Monate. Glauben Sie, dass Hollande so lange hat? Acht Wochen, wenn es hoch hergeht“, ätzte neulich ein deutsches Regierungsmitglied.

Doch zumindest gibt es nun unter den EU-Chefs wieder die Möglichkeit eines Wettstreits der politischen Ideen. Und das ist, wie Tony Judt, der 2010 verstorbene führende Historiker Europas, in seinem letzten Buch festgehalten hat, die Essenz liberaler Demokratien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2012)

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