USA: Neuer Asphalt, schnelleres Internet, museale Brücken

(c) Dapd (Michael Gottschalk)
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Die Obama-Regierung legte ein Konjunkturprogramm von 814 Mrd. Dollar auf den Tisch. Die Depression wurde so zwar abgewendet, ein möglicher Rückfall in die Rezession aber nicht verhindert.

Washington. Barack Obama hat alle Register gezogen: Er drängte und schmeichelte, er predigte und nahm die widerstrebenden Kollegen zuletzt beim G8-Gipfel in Camp David beim vertraulichen Tête-à-Tête ins Gebet. Ohne Möglichkeit einer direkten Einflussnahme in den EU-Gremien versuchte der US-Präsident auf die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten EU-Staaten einzuwirken und sein Modell einer Konjunkturankurbelung anzupreisen. Denn die Krise in Europa, so erklärte er seinen Landsleuten, habe unmittelbare Auswirkungen auf die Auftragslage der Fabriken in Milwaukee oder Cleveland – in Wisconsin und Ohio, jenen Bundesstaaten also, in denen die Präsidentenwahlen im Herbst entschieden werden.

Wie fragil die wirtschaftliche Situation in den USA ist, zeigt der jüngste Ausblick des Congressional Budget Office, des unabhängigen Rechnungshofs des Kongresses. Die Wirtschaftsexperten warnen vor einem erneuten Rückfall in die Rezession zu Beginn der neuen Legislaturperiode im Jänner 2013. Sollte der Kongress keinen Konsens mit dem Präsidenten über eine Verlängerung der Steuererleichterungen aus der Amtszeit George W. Bushs erzielen, droht der ohnedies angeschlagenen US-Wirtschaft eine Talfahrt – ein Minus von 1,3 Prozent.

Zwischen Demokraten und Republikanern besteht zwar Einigung über die Fortdauer einer Mehrzahl der Maßnahmen. Bei wohlhabenden Amerikanern mit Jahreseinkommen von mehr als 250.000 Dollar und bei Öl- und Gaskonzernen pocht der Präsident freilich auf ein Ende der Steuerprivilegien. Unter dem Eindruck der Wahlschlappe der Demokraten bei den Kongresswahlen 2010, die dem Tea-Party-Flügel der Republikaner Auftrieb verliehen hatte, stimmte der Präsident händeringend und unter Kritik der Linken einer Verlängerung der Steuervergünstigungen von zwei Jahren zu.

Wahlkampfpolemik

Die Wahlkampfpolemik wird das Thema im Herbst unter der Überschrift Reiche versus Mittelklasse weiter anheizen. Überdies kündigten die Republikaner bereits eine Neuauflage der Schuldendebatte aus dem vorigen Sommer an. Der Schuldenberg – derzeitiger Stand 15,7 Billionen Dollar – wird bis spätestens Anfang 2013 die gesetzliche Obergrenze von 16,1 Billionen Dollar erreicht haben. Das politische Hauen und Stechen in Washington wird mit der Wahl am 6. November keineswegs ein Ende finden.

De facto steht die Obama-Ära seit dem ersten Tag unter dem Zeichen der Polarisierung. Der 44. Präsident war gerade zwei Wochen im Amt, als der Kongress mit Hängen und Würgen ein Stimulus-Programm von letztlich 814 Milliarden Dollar verabschiedete, um der maroden Wirtschaft neue Impulse zu geben. Im Repräsentantenhaus votierten alle Republikaner und elf Demokraten dagegen, im Senat fand das Konjunkturpaket die Zustimmung von drei republikanischen Senatoren – damit übersprang das Gesetz gerade die notwendige Hürde. Die Nothilfe des Staats markierte 2009 die Geburtsstunde der Tea-Party-Bewegung, in der folgenden Debatte um die Gesundheitsreform blühte sie vollends zu einer treibenden Kraft im politischen Spektrum auf.

Die Staatshilfe verteilte sich auf vier Segmente: die Verlängerung der Arbeitslosenhilfe, Steuervorteile für Klein- und Mittelbetriebe, das Stopfen von Budgetlöchern der Bundesstaaten und den Ausbau der teils desolaten Infrastruktur. In entlegenen, wenig bevölkerten Regionen wie Montana entstanden Masten für schnellere Internetverbindungen, Bauprojekte überzogen das gesamte Land von der Ost- bis zur Westküste. Am sichtbarsten, mit Tafeln entsprechend gekennzeichnet, floss das Geld in die Sanierung der High- und Freeways und generell in die Ausbesserung der von Schlaglöchern übersäten, notdürftig geflickten Straßen.

„Dank an Uncle Sam“

Die Opposition geißelte das Programm indes als pure Verschwendung. Neulich hielt Mitt Romney eine Kundgebung in Hillsborough in New Hampshire vor einer Brücke ab, die er als die „Brücke nach Nirgendwo“ bezeichnete. 150.000 Dollar kostete die Instandsetzung einer Brücke zu vorwiegend museal-historischen Zwecken. Am Ende entschieden die lokalen Behörden, wo und wie das Staatsgeld eingesetzt werden sollte.

Was für die Republikaner des Teufels ist, ist für den Ökonomen Paul Krugman zu halbherzig. Er forderte ein weitaus größeres Volumen. Das neutrale Congressional Budget Office schätzt, dass das Programm mehr als drei Millionen Jobs geschaffen und die Arbeitslosigkeit um 1,8 Prozent gesenkt habe. Mark Zandi, der führende Wirtschaftsexperte der Ratingagentur Moody's, glaubt, dass die Regierung eine Depression abgewendet habe. Und die Investorenlegende Warren Buffett verfasste in der „New York Times“ sogar ein Dankschreiben an „Uncle Sam“, in dem er das Krisenmanagement würdigte. „Die Welt würde heute anders aussehen, wenn du das nicht getan hättest.“

Optimismus klang auch an, als Obama jüngst sagte: „Der Sturm ist überstanden.“ Die Parameter deuten aber nur schwach nach oben: Das Wirtschaftswachstum pendelte sich im letzten Quartal bei 2,2 Prozent ein, die Aussichten sind nicht viel rosiger. Die Arbeitslosenrate schrumpfte nur deshalb leicht auf 8,1 Prozent, weil viele die Jobsuche aufgegeben haben – und die Regierung keine neuen Stellen mehr ausschreibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2012)

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