Der Elefantengott, Hitler und die Swastika

(c) Wiener Festwochen
  • Drucken

Ein berührendes und bizarres Projekt aus Australien: „Ganesh Versus the Third Reich“ ist einer der bisherigen Höhepunkte der Wiener Festwochen. Das „Back to Back Theatre“ relativiert den Begriff Behinderung.

Wie spielt man einen Genickschuss? Das müsste doch leicht sein. Einfach umfallen, tot sein! Der Mörder (David Woods) tritt an das kauernde Opfer (Scott Price) heran, streckt zwei Finger gegen dessen Nacken und macht ein Schussgeräusch. Jetzt müsste der Erschossene nach vorn kippen, doch er rollt sich um die eigene Achse und legt sich bequem hin. Wieder und wieder wird diese Szene geübt, der Täter beginnt zu toben, weil sein Partner auf der Bühne nicht macht, was er will. Paff und zack! Doch immer wieder kommt diese nun fast elegante, weil geübte Bewegung dazwischen. Schimpfwörter fallen. So kann man sich doch nicht abknallen lassen!

Das Bemerkenswerte an diesem Slapstick: Das Opfer ist ein Mensch mit echter Behinderung, er spielt einen Juden im KZ. Der Täter scheint ein „normaler“ Mensch zu sein. Er spielt den Nazi-Doktor Mengele und fällt dann tobend aus der Rolle. Irgendwann stellt dieser Regisseur auch die Frage, ob ein anderer Mann (Mark Deans), einer mit Downsyndrom, zwischen der Realität und dem Theater, in dem er mitspielt, überhaupt unterscheiden könne. Er konfrontiert Mark hartnäckig mit dieser Frage. Dessen versuchte Antworten sind rührend, bald aber fragt man sich auch als Zuschauer, was an dieser Produktion echt sei und was gespielt.

Die Grenzen verschwimmen, und diese Verstörung macht auch einen Teil des ungeheuren Reizes von „Ganesh Versus the Third Reich“ aus, das am Donnerstag bei den Wiener Festwochen seine Europa-Premiere feierte. Diese ergreifende Vorstellung auf Englisch, Deutsch und Sanskrit rührt an Tabus.

Das Hakenkreuz muss heim nach Indien

Die simple, von Bruce Gladwin inszenierte Geschichte: Ganesh, der Gott mit dem Elefantenkopf, wird von seiner Mutter Parvati aus Indien nach Deutschland gesandt, um ein altes asiatisches Sonnensymbol zurückzuholen. Es handelt sich um die Swastika (Sanskrit für „das Heilbringende“), die von den Nazis geraubt und zum tödlichen Hakenkreuz gemacht wurde. Gelinge die Rückkehr nicht, werde ihr Mann, der Gott Shiva, die Welt zerstören, droht Parvati. Ganesh (Brian Tilley) macht sich auf nach Europa. Das Bühnenbild besteht vor allem aus transparenten Vorhängen, die als Projektionsfläche für Berge, Bahnabteile, Wälder oder für ein schönes Schattenspiel dienen. Die Gottheit landet im besetzten Polen im KZ, gerät in die Hände Mengeles, der begeistert von dieser „abnormen“ Chimäre ist. Ganesh gelingt es, den jüdischen Autisten Levi (Simon Laherty) zu befreien. Levi gelangt in die Schweiz, der Elefantenköpfige nach Berlin, wo er auf Hitler (ebenfalls von Laherty gespielt) trifft und ihm die Armbinde mit dem Hakenkreuz abnehmen kann.

Wird die Welt gerettet? Zumindest sehen wir, wie sich der Spielleiter und Mark umarmen, ehe der Abend mit einem Versteckspiel und sanfter, versöhnlicher Musik endet. Zuvor aber hat es 100 Minuten intensiver Bemühungen gegeben, Macht und ihren Missbrauch szenisch umzusetzen, die Tragödie, dass die Welt aus ihren Fugen gerät. Bei diesem Versuch werden die Bedingungen und Grenzen des Theaters ebenfalls ausgetestet. Die Truppe mit ihren Handicaps, mit Autismus, Tourette- oder Downsyndrom und von außen weniger deutlich erkennbaren Behinderungen, ist mit heiligem Ernst bei der Sache. Immer wieder stellt sich die Frage: Wird er das spielen können? Immer wieder aber fragt man sich: Wird nicht auch der Spielleiter überfordert, wenn ihn seine Mitspieler durch ganz einfache Mittel des Widerstands austricksen?

Zuweilen gibt Gaststar Woods den Weltenzerstörer und Erneuerer Shiva. Auch das Drama auf der Bühne beginnt immer wieder neu, unterbrochen von einer Meta-Debatte. Es ist schwer, einen der Darsteller dazu zu überreden, Adolf Hitler zu spielen. Am schwersten aber scheint es zu sein, einen anderen, einen widerborstigen, dazu zu bewegen, einen einfachen Satz zu sagen und zu meinen: „I. Love. You“ kommt ihm nur stockend über die Lippen. Schon aber ist das Ensemble nach solch emotioneller Anstrengung wieder bei der Farce: „Can we fix it? Yes, we can!“, heißt es politisch spitz.

Auch das Publikum wird gepikst. Es sei nur gekommen, um eine Freak-Show zu sehen, lautet die durch die vierte Wand gesandte Unterstellung: „A bit of freak-porn.“ Nein, diese Aufführung ist keine Demonstration von Absonderlichkeiten, sondern eine Arbeit mit heilsamer Wirkung. Am schönsten drückt sich das aus, wenn Woods als Regisseur zerstörerisch zu wüten beginnt und von seinen Kollegen zurückgehalten wird. Ganz sanft gehen sie mit ihm um. Als wollten sie ihn wie wissende, weitsichtige Therapeuten von dem Wahn heilen, dass diese Welt tatsächlich untergehen werde.

Back to Back Theatre

Seit 25 Jahren gibt es die Truppe aus Geelong nahe Melbourne, die von Australien aus auf Tour geht. Die Ensemblemitglieder, die zudem auch Autoren der Dramen sind, haben verschiedene Behinderungen, die sie selbst nicht als „geistige“, sondern als „von außen wahrgenommene“ bezeichnen. In den letzten fünf Jahren war das „Back to Back Theatre“ in 47 Städten weltweit zu Gast.

„Ganesh“ wurde 2011 mit einem Age Critics Award ausgezeichnet. Bei den Wiener Festwochen ist es noch am 26. u. 27. Mai zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.