Neigen Türken eher zu Gewalt?

Neigen Tuerken eher Gewalt
Neigen Tuerken eher Gewalt(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Einer deutschen Studie von 1998 zufolge sind junge türkische Männer deutlich gewalttätiger als Deutsche oder andere Nationalitäten. Die Gründe dafür liegen nicht nur in sozialer Benachteiligung.

Freitagfrüh in der Volksschule Wagram in St. Pölten. Ein 37-jähriger Mann stürmt in das Klassenzimmer seines achtjährigen Sohnes und nimmt ihn mit in die Garderobe der Schule. Dort zückt er eine Waffe, die er laut Polizei illegal besitzt, schießt ihm in den Kopf und flüchtet. Eine Stunde später wird er tot in seinem Auto aufgefunden – er hat auch sich in den Kopf geschossen. Der Bub wird notoperiert, er befindet sich nach wie vor in Lebensgefahr. Die Hintergründe der Tat dürften familiäre Probleme gewesen sein – die Mutter des Buben hat erst Anfang der Woche die Scheidung eingereicht.

Der Mann war im Übrigen türkischer Abstammung. Welche Rolle das spielt? Eine laut Wissenschaft nicht vernachlässigbare. Denn laut einer repräsentativen Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sind junge türkische Männer um ein Vielfaches gewalttätiger als deutsche. Selbstverständlich liegen die Gründe dafür auch in der stärkeren sozialen Benachteiligung. Doch selbst unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen weisen Türken (Männer zehnmal so stark wie Frauen) eine fast doppelt so hohe Gewaltbereitschaft auf als die einheimische Bevölkerung oder Migranten aus anderen Ländern wie etwa dem ehemaligen Jugoslawien. Ein Phänomen, das sich auf die Zahl der Täter ebenso auswirkt wie auf die der Opfer.


„Dunkelfeldbefragung“. Der Direktor des Forschungsinstituts, Christian Pfeiffer, und sein damaliger Stellvertreter Peter Wetzels berufen sich auf eine eigene „Dunkelfeldbefragung“, bei der 1998 in neun deutschen Städten in „repräsentativen Stichproben“ mehr als 16.000 Jugendliche interviewt wurden. Einer der zentralen Fragenkomplexe betraf die eigenen Gewalttaten der Jugendlichen. Pfeiffer und Wetzels wollten von ihnen wissen, ob und gegebenenfalls wie oft sie im Verlauf der letzten zwölf Monate andere beraubt, erpresst, geschlagen oder mit einer Waffe bedroht hatten.

Die niedrigste Rate ergab sich mit 18,6 Prozent bei Deutschen, die höchste bei Türken mit 34,2 Prozent. An zweiter Stelle stehen Männer und Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien mit einer Täterrate von 29,2 Prozent. Noch größer werden diese Unterschiede, wenn man auch die Zahl der insgesamt von den Jugendlichen berichteten Gewalttaten berücksichtigt. Auf 100 Türken entfallen pro Jahr nach eigenen Angaben fast dreimal so viel Gewalttaten wie auf gleichaltrige Deutsche.

In Bezug auf ihre „Opfererfahrung“ wurden die Männer auch gefragt, welcher ethnischen Gruppe die Täter angehörten. 28,9 Prozent gaben an, die Täter seien Türken gewesen. Differenziert man hier nach der ethnischen Zugehörigkeit der Opfer, so finden sich nur geringe Unterschiede. Selbst Türken nannten zu 26,9 Prozent ihre Landsleute als Täter – eine Quote, die dreimal so hoch liegt wie der Anteil der türkischen Jugendlichen unter den Befragten.


Spirale der Aussichtslosigkeit. Hinter dem Etikett der „ethnischen Herkunft“, so die Schlussfolgerung der Wissenschafter, verberge sich – neben sozialen Benachteiligungen und schlechteren Zukunftschancen – „auch ein traditionelles, von Dominanz und Gewalt geprägtes Männlichkeitskonzept“. Der Einsatz körperlicher Gewalt werde als legitimes Mittel für die Aufrechterhaltung traditioneller Ordnung gesehen. Niedrige Scheidungsraten – da verpönt – würden dazu führen, dass sich systematisch psychischer Druck aufbaue, der sich in Gewalttaten entladen könne.

Vergleichbare Studien aus Österreich gibt es nicht. Aber auch der Wiener Notfallpsychologe und Vizepräsident des Berufsverbandes österreichischer Psychologen, Cornel Binder-Krieglstein, bestätigt, dass soziale Benachteiligungen, finanzielle Anspannung und eine patriarchalisch geprägte Erziehung Männlichkeitsideale und familiäre Krisensituationen massiv verschärfen können.

„Geplanten Taten wie jene des Mannes in St. Pölten gehen emotionale Eskalationsprozesse voraus“, erklärt Binder-Krieglstein. Die Spirale der Aussichtslosigkeit führe irgendwann zu derart eingeschränkten Handlungsoptionen, „dass die Täter keinen anderen Ausweg für ihre Situation sehen als die Gewalt, die sie als scheinbare Lösung des Problems betrachten“. Wenn jemand beispielsweise nicht ertragen kann, keinen Zugang zu seinen Kindern zu haben, sei eine solche Tat oft der letzte Schritt auf einem Weg mit dem Ziel, die Mutter des Kindes zu bestrafen oder dem Gericht etwas zu beweisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2012)

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