Auch Spanien wankt – und Europa steht vor dem Zerfall

Statt Europa zusammenzuschweißen, ist die gemeinsame Währung Euro zu einem Keil geworden, der den Kontinent spaltet.

Als eine Lüge oder zumindest als eine Irreführung der Öffentlichkeit muss man die Einführung des Euro sehen. Da sie vor der politischen Vereinigung Europas erfolgte, war sie von vornherein ein totgeborenes Projekt blauäugiger Idealisten.

An warnenden Stimmen hatte es nicht gefehlt. Immerhin waren in Europa bereits zwei derartige Projekte gescheitert: einerseits die „Lateinische Münzunion“ zwischen Frankreich, Belgien, Italien, der Schweiz und Griechenland, die faktisch von 1865 bis 1914, formal bis 1926 existierte, andererseits die skandinavische Währungsunion, die von 1872 bis 1924 bestand. In beiden Fällen entwickelten sich die volkswirtschaftlichen Daten so stark auseinander, dass die Bündnisse schließlich platzten.

Zu denken geben sollte aber vor allem der Verlauf jener Währungsunion, die unter den denkbar besten Bedingungen ins Leben gerufen wurde: die Union zwischen den alten und neuen Bundesländern seit der Wiedervereinigung Deutschlands.

Es waren dieselben „tüchtigen“ Deutschen hüben und drüben, zwischen denen sie hergestellt wurde. Sie fand zudem unter dem Dach eines gemeinsamen Staates statt und wurde durch Transferzahlungen gewaltigen Ausmaßes erleichtert. Dennoch hat sich der Abstand der Wirtschaftsleistung zwischen Ost und West bis zum heutigen Tag kaum verringert.

Euro – „Der größte Irrtum“

Wenn schon ein Experiment unter optimalen Bedingungen derartige Schwierigkeiten bereitet, muss man da nicht den Worten des ehemaligen Präsidenten der Hamburger Landeszentralbank, Wilhelm Nölling, beipflichten? Dieser ist überzeugt, dass der Euro „der größte Irrtum in der Währungsgeschichte [sei], der das Potenzial in sich birgt, den Kontinent zu zerreißen“. Gemeinsam mit anderen Experten hat der Volkswirtschaftler deshalb eine Klage beim Bundesverfassungsgericht angestrengt.

Führende Politiker aus Frankreich und Deutschland haben mit dem Vertrag von Maastricht die Staaten Europas leichtfertig unter das Dach einer gemeinsamen Währung gezwungen. Sie gingen davon aus, dass auf die wirtschaftliche die politische Union ganz von selbst folgen würde.

Das war Wunschdenken der leichtfertigsten Art. Kein Wunder, dass wir jetzt die Folgen zu tragen haben. Europa ist gerade dabei, an gegenseitigen Bezichtigungen, Unterstellungen und Verdächtigungen – angeheizt durch den Aufstand streikender, protestierender und einfach erbitterter Massen, zu scheitern und zu zerbrechen.

Nicht nur in Griechenland, Irland, Portugal, Italien und Spanien wird man die Menschen in den kommenden Jahren immer stärker zur Ader lassen, auch die Steuerzahler in Deutschland und Frankreich wird die wachsende Steuer- und Abgabenlast zu Boden drücken.

Die Todsünden der Politik werden letztlich die Bürger ausbaden – und zwar gleichgültig, ob man Europa jetzt in einem verzweifelten Kraftakt künstlich zusammenhält oder ob die Eurozone vorzeitig zerfällt.

Auflehnung gegen den Norden

In seiner gegenwärtigen Gestalt erweist sich der Euro damit als ein Projekt mit düsterer Zukunft. Griechenland, aber auch Portugal, Spanien und Italien werden mit dem Euro ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr zurückerlangen. Anders gesagt, fallen sie immer weiter hinter Deutschland und den Norden zurück, weil ihre Bevölkerungen die drückenden Maßnahmen nicht akzeptieren.

Schon jetzt lehnen sie sich gegen den Norden auf, der sie ihnen unter ungeheurem Druck verordnet. Statt Europa zusammenzuschweißen, ist der Euro zu einem Keil geworden, der den Kontinent spaltet. Hätten die Länder des Südens eigene Währungen, würden sie diese abwerten und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit mühelos und ohne innere Unruhen wiederherstellen können.

Bedrohliche Töne

Der Euro, von Gutmenschen als das einigende Band um die Länder Europas geschlungen, reißt Europa nun auseinander: Er spaltet den wirtschaftlich und politisch starken Norden von einem weit abgeschlagenen und heillos geschwächten Süden.

Laut Eurostat beträgt die Arbeitslosigkeit der griechischen Jugendlichen in der Altersklasse zwischen 15 und 24 Jahren mehr als 40Prozent. Ähnlich in Spanien. Eine so schwere Rezession wie seit 2009 in Griechenland hat es seit dem Zweiten Weltkrieg in keinem westlichen Land gegeben. Und er spaltet auch noch die Bevölkerung selbst in eine verarmte Mehrheit und eine Minderheit, die ihr Geld rechtzeitig in der Schweiz in Sicherheit brachte.

Glaubt wirklich jemand ernsthaft daran, dass die jetzt schon rebellierenden Bevölkerungen des Südens sich Diktaten aus dem Norden fügen, die ihnen alle Aussicht auf eine gedeihliche Entwicklung nehmen? Schon hört man bedrohliche Töne wie die, dass Griechenland „zu einem deutschen Protektorat des Vierten Reiches in Europas Süden“ geworden sei.

Dem Norden selbst wird es im weiteren Verlauf der Krise auch nicht viel besser gehen. Schon Anfang 2012 werden Griechenland, Italien, Spanien, Portugal ihre Schulden nicht mehr begleichen können, weil sie keine neuen Investoren für den Rollover finden.

Doppelte Belastung

Entweder schlittern sie in den Staatsbankrott – das wird die Eurozone gewaltsam zerreißen – oder die EZB wird mit frisch gedrucktem Geld einspringen müssen. Sie kauft die Staatsschulden auf und ebnet dadurch den Weg in die Transferunion und eine nach und nach immer stärker wirkende Geldentwertung. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Länder des Nordens.

Angesichts der doppelten Belastung durch eigene Schulden und den Geldfluss in die Länder des Südens sieht der Norden sich zu drastischen Sparmaßnahmen gezwungen. Diese aber werden die Bevölkerung sehr bald auf die Barrikaden treiben. Denn dem Zugriff des Fiskus ohnmächtig ausgeliefert sind nur Arbeiter, Angestellte und Beamte – mit ihnen macht der Staat, was er will. Er weiß, dass sie ihm nicht davonlaufen können.

Deutschlands Verantwortung

Die Reichen und Mächtigen aber werden ihr Geld rechtzeitig im Ausland in Sicherheit bringen.

Für diesen Missstand trägt Deutschland die größte Verantwortung, weil es an seinem außereuropäischen Export immer noch um jeden Preis festhält und sich daher mit aller Macht gegen die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen zur Wehr setzt.

So bleibt Europa der neoliberalen Diktatur der Reichen und Mächtigen weiterhin ausgeliefert. Man hat die Union scheinbar gerettet. In Wahrheit ist der finale Crash aufgrund sozialer Aufstände programmiert – es sei denn, ein neues Europa würde entstehen.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Dr. Gero Jenner (*1942 in Hamburg)ist Asienwissenschaftler und Soziologe. Er hat eine Reihe von wirtschaftswissenschaftlichen Büchern zu aktuellen Themen veröffentlicht. Sein Gastkommentar ist seinem jüngsten Buch „Von der Krise ins Chaos. Wann kommt der finale Crash“ (Signum Verlag) entnommen. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2012)

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