USA: Die Todesliste des Barack Obama

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Zentrales Element des Antiterrorkriegs sind die Drohnenangriffe gegen Rädelsführer der al-Qaida. George W. Bush ließ sie einsperren, Obama lässt sie exekutieren. 2009 markiert Wendepunkt im Antiterrorkrieg.

Washington. „Oh, das hat nichts Gutes zu bedeuten“, pflegt der Präsident zu sagen, wenn John Brennan unangemeldet bei ihm im Oval Office auftaucht, ihn aus einer Sitzung reißt oder ihn an ein abhörsicheres Telefon holen lässt. Barack Obama weiß, dass dann eine Entscheidung über Leben und Tod ansteht. Denn Brennan, der Antiterror-Berater – ein knorriger Ex-CIA-Agent, den Obama-Mitarbeiter als John-Wayne-Figur charakterisieren –, legt dem Oberbefehlshaber die „Todesliste“ für einen aktuellen Drohneneinsatz vor. So schildert Daniel Klaidman in seinem neuen Buch „Kill or Capture“, das Einblick gibt über den heimlichen Antiterrorkrieg der Obama-Regierung, die Szene im Weißen Haus.

Der Präsident hat sich ausbedungen, jeden Drohnenangriff gegen verdächtige al-Qaida-Mitglieder persönlich abzusegnen. In Insiderkreisen sind die Dienstagsitzungen im abhörsicheren „Situation Room“ des Weißen Hauses und im Pentagon, wenn Dutzende hochrangige Militärs und Geheimdienstleute ihre Listen durchkämmen und Fall für Fall erörtern, als „Terror Tuesday“ bekannt. Erst in den vergangenen Tagen haben US-Drohnen mit tödlicher Präzision zwei Rädelsführer der al-Qaida in Afghanistan und Jemen zur Strecke gebracht.

Obamas „Spezialität“

Seit Beginn der Obama-Ära ist der Drohnenkrieg eskaliert, er ist zu einer „Spezialität“ Obamas geworden. Hunderte Attacken unbemannter Flugzeuge töteten in seiner Amtszeit weitaus mehr Menschen als unter George W. Bush – darunter Dutzende Unschuldige, was zu schweren Irritationen mit Afghanistan und Pakistan geführt hat. Menschenrechtsaktivisten wie Republikaner bringen die Kritik unisono auf den Punkt: Was für Bush Guantánamo war, ist für Obama der ferngesteuerte Krieg aus der Luft. Für die US-Streitkräfte hat die moderne Kriegsführung indessen einen unbestrittenen Vorteil: Der vermeintlich „saubere“ Krieg fordert keine eigenen Todesopfer.

Der Wendepunkt im Antiterrorkrieg lässt sich auf den Herbst 2009 datieren. Im November richtete der US-Militärpsychologe Nidal Malik Hasan in der texanischen Kaserne Fort Hood ein Massaker mit 13 Toten an. Via Internet stand er mit dem Fundamentalisten-Guru Anwar al-Awlaki im Jemen in Verbindung – jenem charismatischen islamistischen Prediger, der auch den „Unterhosenbomber“ Umar Faruk Abdulmutallab nur wenige Wochen später zu seinem Attentatsversuch in einer US-Passagiermaschine am Weihnachtstag inspiriert hat.

Der Präsident zürnte: „Was ist da schiefgelaufen?“ Auf Obamas explizite Forderung rückte danach al-Awlaki auf der US-Fahndungsliste hinter Osama bin Laden zur Nummer zwei auf. Als ihn schließlich im September 2011 eine Drohne zerbarst, flammte Kritik auf: Al-Awlaki, geboren in New Mexico, war US-Staatsbürger. Zudem seien die USA mit dem Jemen nicht im Krieg. Die Debatte, die neben rechtlichen auch moralische Fragen aufwirft, erlosch im Keim.

Der gelernte Verfassungsrechtler, der im Wahlkampf den Irak-Krieg und die Foltermethoden der Bush-Regierung anprangerte, und der am zweiten Amtstag eine Verfügung zur Schließung Guantánamos erließ, entpuppte sich als eherner Antiterrorkrieger. Nachdem anfängliche Versuche, das Gesetz buchstabengetreu auszulegen, sowohl am Widerstand der Opposition als auch an der Machbarkeit scheiterten, führt Obama im Grunde die Politik George W. Bushs fort. Trotz einiger symbolischer Federstriche wie dem Verbot von „Waterboarding“ behielt er die Praxis der CIA-Geheimgefängnisse bei.

Und er verfiel auf eine pragmatische Methode: Statt Terrorverdächtige in Guantánamo zu inhaftieren, einen Aufschrei im Rest der Welt zu provozieren und einen ebenso langwierigen wie umstrittenen Gerichtsprozess einzuleiten, lässt er sie umgehend exekutieren. Der Befehl zur Ergreifung Osama bin Ladens – des Staatsfeinds Nummer eins – trug ihm allseits Achtung ein. Obama erscheint als umsichtiger, aber tougher Präsident, er verwandelte die traditionelle Achillesferse der Demokraten in eine Stärke: die Verteidigungspolitik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2012)

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