Ein Hauch Dritter Republik kann auch nicht mehr schaden

In den Parteien herrscht Konsens, dass mehr direkte Demokratie notwendig ist. Ein paar alte Widerstandskämpfer wehren sich. Das wahre Risiko nennen sie aber nicht.

Es war der konstruktivste Beitrag der FPÖ in dieser Legislaturperiode, selbst wenn er gar nicht so gemeint war: Heinz-Christian Strache forderte von der ÖVP Verhandlungen über einen Ausbau der direkten Demokratie im Abtausch gegen die Zustimmung zur Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung. Daraus wurde zwar nichts, weil längere Verhandlungen nicht so seine Sache sind. Aber ÖVP-Chef Michael Spindelegger hat schon ein Demokratiepaket bei Jungstar Sebastian Kurz in Auftrag gegeben, und der Zug war im Rollen.

Mittlerweile liegt ein ÖVP-Positionspapier für mehr direkte Demokratie vor. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ), die mittels Direktwahl in die Hofburg gewählt werden möchte, so es Erwin Pröll nicht verhindert, hat ebenfalls ein ganz vernünftiges Modell erarbeitet. Kernpunkte beider Papiere: Das Persönlichkeitswahlrecht soll ausgebaut werden; erfolgreiche Volksbegehren sollen nicht mehr so leicht in der Schublade des zuständigen Unterausschusses verstaut und vergessen werden, wie es aktuell gerade dem Bildungsvolksbegehren droht.


Alle Parteien sind für eine Reform. Kanzler Werner Faymann traut sich zwar nicht mehr, über wichtige EU-Inhalte wie die Aufstellung und Daueraufstockung des milliardenschweren Schutzschirms abstimmen zu lassen, wie er einst auf Zuruf der „Krone“ versprochen hat. Aber auch er kann sich eine Volksabstimmung über das neue Demokratie- und Wahlrecht noch vor der Wahl vorstellen. Details müssen verhandelt werden, aber dieser Zwischenurnengang vor dem Wahlkampf klingt plausibel. Nebenbei: Eine lineare Kürzung der Anzahl der Abgeordneten ist nicht wirklich sinnvoll, da wäre eine Abschaffung des Bundesrats mit gleichzeitiger Aufwertung der Verantwortung jedes Abgeordneten für den eigenen Wahlkreis durch ein Persönlichkeitswahlrecht besser.

Dass ausgerechnet Heinz Fischer, der im Gegensatz zu seinen deutschen Amtskollegen direkt gewählt wurde, vor der Reform warnt, ist putzig bis ärgerlich. Es sind wohl kaum die Volksbegehren, die den legislativen Anspruch des Parlaments beschneiden, sondern die Regierungsmitglieder der Großen Koalition, die mit den Sozialpartnern in diesem Land Gesetze formulieren und entscheiden. Niemand hat die Klubchefs Josef Cap und Karlheinz Kopf, die Fischer nach seiner Warnung zur Seite gesprungen sind, bisher daran gehindert, für mehr Mitsprache, die Einführung eines eigenen legistischen Dienstes im Parlament und generell mehr Selbstbewusstsein der Abgeordneten zu sorgen. Auch Fischer hat nicht mit einer einzigen Rede oder Initiative für Überraschung gesorgt und eine Reform des Systems hin zu echtem Parlamentarismus verlangt. Nein, Fischer und Kopf geht es offenbar nur darum, dass sich wenig verändert.

Genau das wird nicht möglich sein.

Selbst wenn die freundlichen Politikamateure und -veteranen von „Mein Österreich“, deren Positionen etwas radikaler klingen als jene von Prammer und der ÖVP, ihre Schwierigkeiten haben, für ihr Begehren zu mobilisieren. Selbst wenn die Piraten aufgrund dilettantischen Personals es doch nicht in den Nationalrat schaffen. Selbst wenn nicht jede Tirade gegen die österreichische Politik im Generellen und gegen die Regierung im Besonderen gerechtfertigt sein mag: Wer glaubt, dass das aktuelle politische System gut funktioniert und der Mehrheit gefällt, irrt. Der Ausbau der direkten Demokratie ist einfach nur ein Gebot der Stunde. Dass Jörg Haider manche der auf dem Tisch liegenden Vorschläge für seine propagierte „Dritte Republik“ ähnlich formuliert hat, zeigt nur, dass sich Politik schnell verändert und der Mann mitunter recht hatte. (Und im direkten Vergleich zeigt sich auch, wie wenig Strache zu sagen hat.)

Dennoch gibt es ein echtes Risiko, das Warnung verdient: Michael Häupl hat in Wien gezeigt, wie man direkte Demokratie ad absurdum führen kann. Er ließ die Wiener zur Unterhaltung über Unterhaltung abstimmen, etwa, ob die U-Bahn am Wochenende nachts fahren soll. So kann man von Finanzproblemen und Skandalen ablenken. Oder von der eigenen Untätigkeit. Insofern ist bei dieser Regierung Skepsis angebracht. Selbst wenn es die richtigen Ankündigungen sind.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2012)

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