Brusatti: „Die Gründerzeithäuser sind sicher“

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Bauexperte Walter Brusatti erklärt im Interview, dass Wiens Altbauten auch nach Beben wie jenen in Italien noch stehen würden und warum Dummheit die wirkliche Gefahr ist.

Die Presse: Das ÖIBI hat in Modellen berechnet, wie erdbebensicher Wiener Häuser sind. Welche Schäden gebe es nach Beben wie jenen jetzt in Italien?

Walter Brusatti: Schäden, wie man sie nun in Italien sieht, würde es in Wien kaum geben. Unsere Modelle haben gezeigt, dass bei einem Erdbeben der Stärke fünf – das ist vergleichbar mit jenen in Norditalien – in Wien Zierelemente oder Gesimse herunterfallen können, auch Zwischendecken können einstürzen. Es kann also Tote und Verletzte geben, mit dem Einstürzen gesamter Gebäude ist aber nicht zu rechnen. Auch nicht bei einem Beben der Stärke 6,5, das aufgrund der Plattentektonik in Wien auftreten könnte. In Italien sind auch Neubauten und Fabrikshallen eingestürzt, ganz ausschließen kann man das auch in Wien nicht.

Warum können trotz strenger rechtlicher Normen Neubauten einstürzen?

Wir dürfen nicht vergessen: Das Wissen über Erdbebensicherheit mit derzeitiger Intensität und entsprechende Normen gibt es seit 15 Jahren, als Neubauten gelten Gebäude, die nach 1970 und oft noch ohne dieses Wissen gebaut wurden. Soweit ich die großen Wiener Hallen kenne, kann ich aber sagen, dass sie sicher sind. Die Stadthalle zum Beispiel ist ein stabiler Betonbau keine Fertigteil-Konstruktion. Bei den Hallen, die in Italien eingestürzt sind, handelt es sich um filigrane Stahlkonstruktionen.

Wie beurteilen Sie die Stabilität der Wiener Altbauten oder der Kirchen?

Die Kirchen müssten das aushalten. Auch die Türme sind nicht gefährdet, sie bewegen sich in einer Schlangenlinie und halten Schwankungen Stand. Eine Gefahr geht eher von Zierelementen aus, die herunterstürzen können, das haben wir auch im Vorjahr bei dem Beben in Spanien beobachtet. Die Gründerzeithäuser sind erdbebensicher. Diese Häuser sind ein Erfolgsmodell, nie in der Geschichte gab es Gebäude, die so lange bewohnbar geblieben sind.

Erst 2010 wurde ein Gründerzeithaus am Franziskanerplatz als einsturzgefährdet geräumt. Wie viele Altbauten könnten problematisch sein?

Eine Zahl zu nennen, das wäre Kaffeesudlesen. Vor allem bei Umbauten passieren oft Dummheiten. Das Haus am Franziskanerplatz wurde oft umgebaut, das hat nicht zusammengepasst, die Eigentümer waren uneins, all das hat eine Eigendynamik entwickelt, die aber für Wien untypisch ist. Auch die Einstürze vor zwei Jahren (2010 ist ein Altbau in Penzing teils eingestürzt, in Ottakring ist ein Stiegenhaus eingebrochen, Anm.) zeigen: Blödheiten kann es immer wieder geben, die sind die wirkliche Gefahr. cim

Zur Person

Walter Brusatti ist der Vizepräsident des Österreichischen Instituts der Sachverständigen für Bautechnische Immobilienbewertung (ÖIBI), Sachverständiger für Hochbau, Architektur/Statik und Lektor an der TU Wien. Das ÖIBI hat die Erdbebensicherheit der Wiener Altbauten erforscht. [Brusatti]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2012)

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