Fehler der Währungsunion: Hume auf Eis gelegt?

Hume gelegt
Hume gelegt(c) AP (Virginia Mayo)
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Hätten die Gründer der Währungsunion den Ökonomen David Hume gründlich gelesen, hätten sie die nationalen Zentralbanken abgeschafft.

Der große schottische Philosoph und Ökonom David Hume verstand nur allzu gut wie nationale Grenzen und Zahlungsbilanzstatistiken internationale Handelsströme beeinflussen und gar bedingen. [ 1 ] Wo nationalstaatliche Grenzen bestehen, beobachten Zollbehörden und Verwaltungsapparate gewissenhaft Waren- und Vermögensbewegungen zwischen den Ländern. Überschüsse und Defizite werden von Politikern als Zeichen für nationale Ehre oder Schande gewertet. Hume kritisierte die merkantilistische Auffassung, war sich aber darüber sicher, dass sich Handelsmuster letztendlich selbst korrigieren. 1752 schrieb er:

Where one nation has gotten the start of another in trade, it is very difficult for the latter to regain the ground it has lost.... But these advantages are compensated, in some measure, by the low price of labour in every nation which has not an extensive commerce, and does not much abound in gold and silver. Manufactures, therefore gradually shift their places, leaving those countries and provinces which they have already enriched, and flying to others, whither they are allured by the cheapness of provisions and labour; till they have enriched these also, and are again banished by the same causes. And, in general, we may observe, that the dearness of every thing, from plenty of money, is a disadvantage, which attends an established commerce, and sets bounds to it in every country, by enabling the poorer states to undersell the richer in all foreign markets.

(Of Money, in Essays, Moral, Political, and Literary II.III.3)

Der gepriesene „Hume-Mechanismus“ müsste prinzipiell auch innerhalb der Europäischen Währungsunion funktionieren. Länder, die weniger exportieren als importieren, müssten Euros an Überschussländer verlieren, wenn sie nicht von privaten Kapitalzuflüssen ausgeglichen werden. Euroabflüsse führen zu Geld- und Kreditknappheit, weniger Kreditvergaben für Konsum und Investitionen, Konjunkturabschwung und fallenden Preisen. Chronische Defizite führen zu höheren Zinssätzen und zu abnehmender Bonität staatlicher sowohl als auch privater Kreditnehmer. Nachlassende inländische Absorption und sinkende Preise nicht handelbarer Güter jedoch bringen Löhne und Produktivität wieder in Einklang und stellen die Wettbewerbsfähigkeit wieder her. In gleichem Maße müssten sich in chronischen Überschussländern Euro anhäufen und inländische Bankkredite ausweiten, was im Verhältnis zu den Defizitländern zu höherer Nachfrage und Inflation führt.

Humes Erkenntnisse sind heutzutage genauso bedeutsam wie vor 250 Jahren. Rezession und damit einhergehende Lohn- und Preissenkungen in der Peripherie der Eurozone sind schmerzhafte, aber notwendige Bedingungen um die Exportkapazität wiederherzustellen, das Wachstum anzukurbeln und auf Dauer tragfähige öffentliche Finanzen zu sichern. Um diesen Prozess voranzutreiben, ist eine straffe Finanzpolitik gefordert. Irland, Spanien und Portugal haben diesbezüglich bereits Fortschritte gemacht. Die relativen Preisniveaus der Defizitländer müssen noch weiter sinken, um Ungleichgewichte ins Lot zu bringen und Privatkapital zurückzuholen. Die Kehrseite davon ist allerdings auch wahr: Deutschland, die Niederlande und Finnland werden eine gehörige Portion Lohn- und nominales Einkommenswachstum – und sogar erhöhte Inflation – in Kauf nehmen müssen. Mit etwas Glück dürfte dieser Fall eintreten.

Doch der Hume-Mechanismus setzt sich nur langsam durch, vor allem weil Preisanpassungen Zeit brauchen und von sturen Erwartungen angetrieben werden. Fehler in der Architektur der Europäischen Währungsunion sind ein weiterer Grund für die Erschwerung des Hume-Mechanismus. Leistungsbilanzdefizite sind nicht per se schlecht, vor allem dann nicht, wenn sie in einem vorübergehend schlechten Jahr Konsum überbrücken oder Investitionsgüterimporte im Blick auf produktive Möglichkeiten finanzieren helfen. Seit der Finanzkrise haben Eurozonenländer mit chronischen Leistungsbilanzdefiziten allerdings bedeutende Kapitalabflüsse und Zahlungsbilanzdefizite erleiden müssen. In den Zeiten des Bretton-Woods-Systems vor 1971 hat der IWF für solcherlei Brandbekämpfung fiskalische Stabilisierungsprogramme eingesetzt; das Vereinigte Königreich und Italien sind zwei denkwürdige Beispiele dafür. Chronische Zahlungsbilanzungleichgewichte wurden nicht geduldet, da von keinem souveränen Staat erwartet wurde, Defizite anderer dauerhaft zu finanzieren.

Innerhalb der Europäischen Währungsunion gibt es keine Instanz zur Regulierung von Ungleichgewichten zwischen souveränen Staaten. Der Maastrichter Vertrag sieht auch kein dem IMF vergleichbares Einschreiten vor. Der für die Verhinderung regierungsbedingter Ungleichheiten geschaffene Stabilitäts- und Wachstumspakt hat offenkundig versagt. Da private Kapitalströme in diese Länder zum Erliegen kamen und sich in Kapitalflucht verwandelten, hat die Europäische Zentralbank unfreiwilligerweise die resultierenden Zahlungsbilanzdefizite mit Verrechnungskrediten finanziert, das sogenannte Target2-System. Derlei Buchungen in den Bilanzen nationaler Zentralbanken wurden in Deutschland heftig diskutiert. Durch die passive Monetarisierung von Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone hat die EZB Hume auf Eis gelegt und die nötige Anpassung relativer Preise zwischen den Regionen vertagt. Wurde das Problem von den meisten Ökonomen zunächst totgeschwiegen, ist es nun zu gewaltig um ignoriert werden zu können: Die Forderungen der Bundesbank gegenüber der EZB haben sich auf weit über 700 Milliarden Euro aufgetürmt, das entspricht 30% des deutschen BIP. Deutschland ist zur Geisel der Währungsunion geworden, da ein unilateraler Ausstieg eine neue Zentralbank mit negativem Eigenkapital voraussetzen würde.

In einer Welt ohne nationale Grenzen und ohne nationale Zentralbanken können keine Zahlungsbilanzdefizite entstehen – Leistungsbilanzdefizite werden immer mit Privatkapital finanziert. Solange die Mitglieder der Währungsunion dies akzeptieren, sollte hin- und herwechselnder transeuropäischer Besitz nationaler Vermögenswerte völlig akzeptabel sein und den Eigentümern der Kapitalflüsse überlassen bleiben. Regierungen sollten verhindern, dass der Steuerzahler für schwerwiegende Fehler von Privatbanken und Investoren haftbar gemacht wird. Die EZB sollte darauf verzichten, einzelne Märkte direkt mit Liquidität zu versorgen. Doch solange ökonomische Nationalisten ihnen Gewicht beimessen, werden nationale Zahlungsbilanzdefizite und Überschüsse in der Formulierung politischer Programme weiterhin eine Rolle spielen. Sollte der Euro zerbrechen, würden die Target-Buchungen zu expliziten staatlichen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten, was die Tore für weitere Beschuldigungen sowie für die Verschlechterung wirtschaftlicher und gar politischer Beziehungen weit öffnen würde.

Schließlich haben die Euro-Gründer den ungeheuerlichen Fehler gemacht, das nicht so winzige Detail ignoriert zu haben, das Hume selbstverständlich bedacht hätte. Da nationale Zentralbanken nicht unwiderruflich abgeschafft wurden, hat man die Hintertür für die Durchsetzung nationaler Interessen sperrangelweit offen gelassen und damit in den natürlichen Gang des Finanzsystems und in Humes Mechanismus eingegriffen. Dieses Versehen kombiniert mit dem Scheitern einer Europäischen Bankenaufsicht mit eigenen Befugnissen hat ein klaffendes Loch in der Europäischen Währungs- und Finanzintegration hinterlassen und wird uns noch in den kommenden Monaten und Jahren verfolgen.

[ 1 ]  Dieser Beitrag basiert auf einer englischen Version, die am 17. Mai 2012 bei der Ökonomenstimme-Partnerplattform Vox erschienen ist.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

Der Autor

Michael Christopher Burda, geb. 1959 in New Orleans, Louisiana, USA. Seit 1993 ist Burda Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin; seit 2007 Gastprofessor für Wirtschaft an der European School of Management and Technology (esmt) in Berlin.

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