Das Gebäck zum Frühstück kostet extra

Eigentlich hätte man nur die Karte genau lesen müssen.

Eigentlich hätte man nur die Karte genau lesen müssen. Da steht ja eh eindeutig, dass das Wiener Frühstück aus einer Portion Butter, einem Glas Marmelade (oder Honig), einem weichen Bio-Freilandei und einem Heißgetränk à la Tee, Kaffee oder heißer Schokolade besteht, das Ganze um genau sieben Euro. Dann hätte man sich nicht wundern müssen, dass die Rechnung plötzlich einen Betrag von 9,40 Euro aufweist. Logisch, eigentlich – und doch ein kleiner Kulturschock im Traditionscafé auf dem Karlsplatz: Das Gebäck zum Frühstück kostet extra.

Der Aufschrei der Konsumentenschützer wäre nun eine Reaktion – dass nämlich die Speisekarten von Wiener Kaffeehäusern ähnliche Fallstricke enthalten wie Verträge mit Mobilfunkanbietern. Der würde allerdings verhallen, schließlich steht es ja nicht einmal kleingedruckt in den AGB der Frühstückskarte versteckt, sondern ist gut sichtbar: Ein Stück handgemachtes Gebäck kostet 1,20 Euro. Punkt. Dass sich der unbedarfte Kaffeehausbesucher unter einem Wiener Frühstück ein Gesamtpackage vorstellt, in dem bereits ein, zwei Semmeln enthalten sind? Nun, das ist wohl einfach eine romantische Vorstellung, die sich mittlerweile überlebt haben dürfte. Wir sind ja in einem Wiener Kaffeehaus und nicht beim Running Sushi!

Eine mögliche zweite Reaktion auf das Gebäckdilemma mag etwas Radikales haben, aber sie ist um einiges eleganter – und wird mit Sicherheit für Aufsehen sorgen: Man nippt am Kaffee, löffelt das weiche Ei aus der Schale, leckt das Marmeladeglas aus und lässt schließlich als Höhepunkt den Würfel Butter langsam auf der Zunge zergehen. Wenn der Kellner, der am Ende den unberührten Gebäckskorb abserviert, einen verdutzten Blick aufsetzt, dann soll das nun wirklich nicht unser Problem sein. Dass zu einem Wiener Frühstück auch Gebäck gehört, ist schließlich eine romantische Vorstellung, die sich mittlerweile überlebt hat.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2012)

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