Türkei: Proteste gegen Abtreibungsrechts-Verschärfung

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Der türkische Regierungschef Erdoğan bezeichnet Schwangerschaftsabbruch als "Mord" und will bestehende Fristen verkürzen. Die Kritik von Frauenverbänden und Politikerinnen der Opposition blieb nicht aus.

Istanbul. In der Türkei verschärft sich der Streit um Pläne der Regierung zur Einschränkung des Rechts auf Abtreibung. Nachdem der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan vor einer Woche erklärt hat, es sei das Gleiche, ob ein Kind vor oder nach der Geburt getötet werde, ist in der Türkei eine heftige Debatte über Abtreibungen entbrannt.

In diese hat sich am gestrigen Montag auch das staatliche Amt für Religionsangelegenheiten, „Diyanet“, eingeschaltet. Es ist das erste Mal, dass sich das Diyanet in der laizistischen Türkei in die Debatte um ein geplantes Gesetz ungefragt einmischt.

Abtreibung sei den Gläubigen verboten und „Mord“, sagte der Leiter des Diyanet, Mehmet Görmez. Der Körper und das Leben seien nicht das Eigentum der Menschen und könnten daher auch nicht gebraucht werden, wie die Menschen dies wollten, führte der konservative Theologe aus. Warum sein Amt zu dem Gesetz, das anno 1983 die Abtreibung legalisierte, 29 Jahre lang geschwiegen hat, sagte Görmez nicht.

Hinter Erdoğans Initiative eines Abtreibungsverbotes haben sich auch seine gemäßigt islamische AK-Partei und sein Kabinett gestellt. Eine Ministerin behauptete, was Erdoğan sage, sage doch auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Gesundheitsminister Recep Akdag sprach sich gar gegen Ausnahmen beim Verbot von Abtreibung aus, auch im Fall einer Vergewaltigung. Notfalls werde sich der Staat nach der Geburt um das Kind kümmern, so Akdag.

Werden Frauen in Illegalität gedrängt?

Die Kritik von Frauenverbänden und Politikerinnen der Opposition blieb nicht aus. Birgül Akay von der Stiftung „Das violette Dach“, die sich für den Schutz von Frauen einsetzt, bezeichnete Erdoğans Worte als „eine Art von Gewalt“. Sowohl der Körper als auch die Zukunft einer Frau würden mit solchen Worten unter Druck gesetzt. In Istanbul und anderen Städten kam es am Wochenende zu Demonstrationen.

Frauenverbände fürchten außerdem, dass Frauen nun in die Illegalität gedrängt werden und es aufgrund von verpfuschten Abtreibungen zu vielen Todesfällen kommen werde. Das war 1983 auch der Grund für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.

Erdoğan scheint indessen entschlossen, das Verbot mit seiner Parlamentsmehrheit durchzuziehen. Ein schlagendes Argument wird von seiner Partei immer wieder vorgebracht, nämlich, dass die 1983 eingeführte Fristenlösung ein Produkt des Militärputsches von 1980 gewesen sei. Andere Vorgaben der Generäle wie die Zehnprozenthürde für den Einzug ins Parlament, die seine Partei noch immer begünstigt, stellt Erdoğan allerdings nicht infrage.

„Brauchen junge Bevölkerung“

Indessen treiben den Regierungschef nicht nur moralische Bedenken um, er sieht die Abtreibungen auch im Zusammenhang mit der Bevölkerungspolitik und der wirtschaftlichen Zukunft der Türkei. „Wir brauchen eine junge, dynamische Bevölkerung“, sagte er in der gleichen Rede, in der er Abtreibungen als Mord bezeichnete.

Tatsächlich entfernt sich die Türkei immer weiter von Erdoğans Ziel von mindestens drei Geburten pro Türkin. Die Geburtenrate ist mittlerweile auf 2,1 Geburten pro Frau gefallen. Das ist der Wert, bei dem die Bevölkerungszahl langfristig stabil bleibt. Tatsächlich wächst die Bevölkerung in der Türkei aufgrund des niedrigen Durchschnittsalters noch immer kräftig. Doch in zwei, drei Jahrzehnten könnte damit Schluss sein. Ein für den Premier offenbar schwer erträglicher Gedanke. Dabei hat er erst kürzlich noch höhere Zahlen für die türkische Populationen angepriesen. Auf Nordzypern sollte jede Türkin – geht es nach Erdoğan – mindestens vier Kinder zur Welt bringen.

Noch ist unterdessen nicht klar, wie das neue Gesetz aussehen wird. Im Gespräch ist eine Verkürzung der Spanne, in der Abtreibungen legal sein sollen, nämlich von derzeit zehn auf vier Wochen – und das kommt einem Verbot nahezu gleich.

Auf einen Blick

In der Türkei sind Abtreibungen seit dem Jahr 1983 legal. Nach der derzeit geltenden Fristenregelung ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zehnten Schwangerschaftswoche ohne Angabe von Gründen erlaubt. Die Regierung will die Fristenregelung nun verschärfen: Frauen sollen Abtreibungen nur bis zur vierten Wochen durchführen lassen dürfen. Hardliner fordern sogar ein völliges Verbot – auch im Fall einer Vergewaltigung.

In Österreich gilt: Innerhalb der ersten drei Monate ist eine Abtreibung legal. Später müssen medizinische Gründe vorliegen, um eine Schwangerschaft abbrechen zu dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2012)

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