Nova Rock: Urbanes Tosen auf Landurlaub

Nova Rock Urbanes Tosen
Nova Rock Urbanes Tosen(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Das Rockfestival an der ungarischen Grenze bietet einmal mehr rockig-lärmige Hausmannskost. Am einprägsamsten ist für viele Besucher wohl das Theater des Wetters: Hitze, Staub, Sturm und Regen.

Rockfestival bedeutet stets auch ergötzliches Schmierentheater. Da wird der welke Charme der mühsam konstruierten Normalität abgelöst durch krasse Gesten und Kostüme. In infernalischer Kakophonie sucht man innerweltliche Erlösung vor der unerbittlich synchronisierenden Arbeitswelt, in der ein Rädchen ins andere greifen muss. Doch was im Umfeld der rockigen Popkultur einmal als Negationsstil begonnen hat, ist heute längst selbst zu einer Art Zwang geworden. Schauderte einem einst ehrfürchtig vor Tätowierten, weil sie die unheilvolle Aura des gefürchteten Kriminals repräsentierten, ist die bläuliche Körperbemalung heute Pflicht für jedes Milchmädchen und jeden Handwerksburschen. Aus einem Gestus des Subversiven, der den wenigen vorbehalten war, die in den Höllenschlund geschaut haben, wurde eine leere Geste, ein Art Zwang zu einem Konformismus des Andersseins.

Verlässliches Indiz für die Stimmungslage in der Masse Mensch sind T-Shirt-Aufschriften. „Zeig mir das Dunkle in dir“, hieß es da etwa, oder schlicht „Viva la Mama“. Zart an den ewigen Tabus rüttelte ein Bursche, der mit einer rosafarbenen Wasserpistole in Form eines erigierten Penis die Fräuleins benetzte. Mehr als ein paar „Huchs“ und „Achs“ waren nicht drin. Und wurden einst Haare gespalten über die wuchernden Subgenres, die Metal jedes Jahr neu gebar, so findet sich die Elite der Kenner kaum noch bei Festivals wie Nova Rock ein. Die Lust an der musikalischen Ungenießbarkeit, an der schicken, visuellen Scheußlichkeit wird heute bei kleineren Spezialfestivals zelebriert.


Angriff der Schlechtwetterfront. Wer also nach raffinierteren musikalischen Brutalitäten lechzte, war einmal mehr verloren in den Feldern bei Nickelsdorf. Auch die geistige Befreiung, wie sie in den Sechzigerjahren bei Popmusikfestivals erhofft und zuweilen (oft mit Hilfe von Drogen) erreicht wurde – längst ist sie Utopie. „We scanned the skies with rainbow eyes and saw machines of every shape and size, we talked with tall Venusians passing through“, fabulierte David Bowie anno 1970 schon reichlich nostalgisch in seinem Song „Memories Of A Free Festival“. Doch die Gedanken blieben auch beim diesjährigen Nova Rock im Käfig. Am Ende oblag es einmal mehr dem Wetter, für die unvergesslichen Augenblicke zu sorgen. Nach vielen Stunden brütender Hitze schlich sich eine veritable Schlechtwetterfront heran, die das Gelände leerte. Das Gros flüchtete sich in den geliebten faradayschen Käfig namens Auto. So mancher bekam temporäres Exil. Während am Autodach die Regentropfen tanzten, wurden im Inneren Bananen und Hartwürste gereicht. Sinnliche Abenteuer dieser Art prägen sich wahrscheinlich tiefer in die Erinnerung ein als das letztlich verstörend Beliebige, was seitens der Tonkunst aufs Festivalpublikum einprasselte.

Doch zurück in den Sonnenschein, zurück zum frühen Nachmittag, als noch Hunger nach musikalischer Dramatik herrschte. The Gaslight Anthem, eine in der Publikumsgunst rasant aufsteigende Band aus New Jersey, charmierte mit ihrem Hipstamatic-Rock, der rührend an alten Illusionen hängt. Was sie selbst weiß. Schon im Opener „Great Expectations“ hieß es vieldeutig: „We were always waiting for something to happen.“ Betrachtete man Sänger Brian Fallon, ahnte man, dass dieser dazu verdammt ist, in der Schleife des Potenziellen zu verharren. Allein die uneingelösten Sehnsüchte treiben diesen kleinen Mann kreativ weiter. Fallon ist ein urbaner Romantiker vom Schlage eines Bruce Springsteen und Tom Petty. Mit angenehm rauer Stimme schwärmte er von der Beschaffenheit von Autorücksitzen und vom Sound des Jahres 1959. Sein „Ferris Wheel“ ist „patient“. Es bewegt seine Menschenlast in gemessenem Tempo. Wie eben auch The Gaslight Anthem selbst. Wenn Fallon das Tier in sich von der Leine lässt, giftet keine Bestie. Es knurrt bloß ein Hündchen mit viel Sehnsucht nach einem Schoß. „45“, Vorbote des demnächst erscheinenden, etwas mehr in die Eingeweide fahrenden Albums „Handwritten“, löste den ersten Ruck im Publikum aus. Frohgemut klopften sich die Menschen die aufblasbaren Gitarren über die Köpfe.

Die gute Stimmung übernahm die nächste Band, die deutschen Baseballs, nur zu gerne. Ihr ein bisserl arg reduziertes Konzept, aktuelle Charthits im altmodischen Rock'n'Roll-Kleid der Fünfzigerjahre vorzuführen, sorgte wider Erwarten für viel Kurzweil. Die drei Leadsänger, g'schleckte Ferdln par excellence, übten sich in gutturalem Gurren und „Elvis the Pelvis“-Gewackel. War der Opener, die im Original fantastische R&B-Nummer „No Diggity“ noch nicht der Bringer, so gewannen die drei Unzeitgemäßen mit den unwiderstehlichen Refrains von „Angel“ (Robbie Williams) und „The Look“ (Roxette) die Massen. Die gelungene Verkettung von Jennifer Lopez' „Let's Get Loud“ mit Ray Charles' „Hit The Road Jack“ war das Highlight ihrer Hitparade. Wenngleich das Verfüttern von musikalischen Glückskeksen von Katy Perry über Kesha bis hin zu Lady Gaga alles andere als progressiv war, die Baseballs wurden bejubelt.

Fortschritt ist in unsicheren Zeiten ohnehin nicht gefragt. Da konzentriert man sich lieber auf das Instantglück, das bewährte Ästhetiken bereithalten. Etwa jene der kalifornischen Band The Offspring, die trotz erheblicher Tempi nie auf ansprechende Melodik vergaß. „You're Gonna Go Far, Kid“ versprachen sie, warnten aber auch vor der Tücke allzu versorgungswilliger Fräuleins: „Why Don't You Go Get A Job?“ Elegante Riffs, schöne Breaks und das sämtliche Rockklischees sprengende Aussehen von Gitarrist Noodles, der mit seinen zwei Aschenbechern vor den Augen vertrauenseinflößend wie Heinz Conrads wirkte, erfreuten überdurchschnittlich. Der gefährlich brummende Bass im wuchtigen „Bad Habit“ brachte das Paradoxon, dass hier urbane Lärmkultur aufs Land expediert wurde, besonders ins Bewusstsein. Der fröhliche Radau gehört schließlich zu den Wesensmerkmalen der Stadt. Nur dort berauscht man sich am großen Tosen, nur dort wird der Tumult zuweilen umarmt wie eine Geliebte. Der herrlich charismafreie Leadsänger Bryan „Dexter“ Holland kündete vom Aufstand des „kleinen Mannes“. Sarkastisch grölte er: „Kick Him When He's Down“.

Auch ohne Faustkampf biss man auf den Pannonian Fields in den Staub. The Offspring zelebrierten ihr kantiges „Dirty Magic“. Gut so. Die Magie des Drecks zählt ja spätestens seit Woodstock zu den konstituierenden Merkmalen von Open-Air-Festivals. „Come Out And Play“ lautete eine andere ihrer Losungen. Besonders intensiv waren das peitschende „Keep 'em Separated“ und „Head Around You“, das von einem rätselhaften Loch in der Seele eines Mädchens erzählte. Politischer gingen es die Veganer-Punks von Rise Against an. Fleischlose Kost macht wild und so rotzte das Chicagoer Rüpelkollektiv das Menetekel vom Untergang Amerikas heraus. Man klagte über „The Good Left Undone“, forderte „Re-Education (Through Labor)“ und war ganz fidel „Ready To Fall“, ehe Promotor Ewald Tatar die Leadvocals übernahm und das Gelände wegen drohender Wolkentürme räumen ließ.

Kein Marilyn Manson. Dem Sturm fiel der Auftritt von Marilyn Manson zum Opfer. Der hätte mit „Born Villain“ ein erstaunlicherweise recht gutes neues Album am Start gehabt. So war es am Nu-Metal/Rap-Kollektiv Linkin Park, den ersten Festivaltag noch mit einem Rufzeichen zu beenden. Das mit den zwei neuen Songs „Lies Greed Misery“ und „Burn It Down“ gewürzte Best-of-Programm machte die Fans fröhlich quietschen, besonders bei den Anleihen an die Beastie Boys („Bleed It Out“). Das Dröhnen der Instrumente vermählte sich da aufs Innigste mit dem Schnaufen des kühlen Windes. Da wurde es fast wohnlich in Lärmkaskaden, die zu gleichen Teilen der Natur und der Kultur geschuldet waren. Diese dichte Atmosphäre verlockte zu melancholischer Reflexion: Wo sind nur die Zeiten, wo es das Schöne noch diesseits des Schmerzlichen gegeben hat?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2012)

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