Mali: Die neue Front im globalen Glaubenskrieg

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Der Aufstand der Tuareg im Norden des Landes brachte Islamisten ins Spiel. Doch die ehemaligen Verbündeten der Unabhängigkeitskämpfer haben ein anderes Ziel: Die Errichtung eines Gottesstaates.

Bamako/Wien. „Unsere Hauptsorge ist, dass der Sahel sich in ein neues Afghanistan verwandelt“, warnte vor kurzem Nigers Präsident Muhamadou Issoufou. Verwandelt? Offenbar ist dies längst der Fall. Al-Qaida ist zwar seit Jahren im Maghreb aktiv – was 2008 auch zwei entführte Österreicher am eigenen Leib erfuhren –, doch mit der Proklamierung eines unabhängigen Staates „Azawad“ im Norden Malis durch Tuareg-Rebellen und verbündete Islamisten Anfang April steht den Extremisten eine Spielwiese von der Größe Frankreichs zur Verfügung.

Waffen aus Libyen

Seither weht im Norden Malis die schwarze Flagge al-Qaidas über den Mauern der Wüstenstädte. Und es gibt immer mehr Anzeichen, dass die globale „Jihad-Karawane“ bereits angekommen ist: Laut Analysen des französischen Militärgeheimdienstes sei der Norden Malis zu einem „immensen Refugium für Terroristen“ geworden, berichtete das französische Wochenblatt „Le Canard Enchaîné“. Pakistanische Terrorausbildner seien aus Somalia nach Mali gereist. Hallé Ousman, der Bürgermeister der Wüstenstadt Timbuktu, kann das nur bestätigen: „Da gibt es noch weit mehr Nationalitäten. Hier sollen neue Rekruten für al-Qaida und andere bewaffnete Gruppen trainiert werden.“

Die Tuareg hatten in den vergangenen 50 Jahren mehrmals rebelliert. Aber erst mit Waffen, die sie in den Wirren des libyschen Bürgerkriegs erbeuteten, konnten sie im Frühjahr ihren alten Traum realisieren: Die Armee aus dem Norden zu vertreiben. Zupass kam ihnen ein Putsch in der Hauptstadt, der ein Machtvakuum schuf.

Mit ihnen kämpften diesmal auch die Islamisten von Ansar Dine. Kaum war Azawad „befreit“, drängten die Extremisten die Tuareg und ihr Ziel eines säkularen Staates an den Rand. Sie hatten nur eine Absicht: Das Gebiet in einen Gottesstaat zu verwandeln.

Das Machtzentrum von Ansar Dine ist Timbuktu. Rigoros wird der Bevölkerung eine rigide Vorstellung des islamischen Rechts aufgedrängt. In den Schulen sind Mädchen und Buben getrennt, Rauchen, Fernsehen, Alkohol und Videospiele sind verboten. „Die Kinder dürfen nicht mehr Fußball spielen“, berichtete ein Bewohner Timbuktus. „Ich habe noch nie gehört, dass der Koran das verbieten würde.“ Der Unmut wächst, auch in anderen Städten wie Kidal, wo die „Verteidiger des Glaubens“ ebenfalls das Sagen haben. Dort protestierten rund 50 Frauen und Kinder gegen die Islamisten und den Extremisten-Import. „Sie wurden von Männern der Ansar Dine geschlagen und vertrieben“, berichtete Abubacar Seydou Diarra, ein Lehrer aus Kidal.

Längst zeigt das Zweckbündnis der eher säkular orientierten Tuareg-Rebellen mit den Islamisten Risse: „Wir kämpfen für die Demokratie, nicht für den Fundamentalismus“, zitierte das Magazin „Jeune Afrique“ eine Exilführerin der Tuareg. Vergangene Woche kam es in Kidal erstmals zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen. Und in Timbuktu soll sich eine weitere militante Gruppe formiert haben, die sich etwas umständlich „Bewegung der Patrioten für den Widerstand und die Befreiung von Timbuktu“ nennt. Ihr Ziel: Die Islamisten zu vertreiben.

Frankreichs Militärgeheimdienst will übrigens noch etwas anderes herausgefunden haben: Dass nämlich die diversen Extremistengruppen der Region – „Al-Qaida im islamischen Maghreb“ (grenzübergreifend), „Boko Haram“ (Nigeria) und Ansar Dine (Mali) finanzielle Unterstützung aus Katar erhalten. Dies ist schon insofern brisant, als Katar ein wichtiger Verbündeter des Westens ist – und damit dessen Antiterrorkampf konterkariert. In diesem spielt Afrika seit der Gründung von „al-Qaida im islamischen Maghreb 2006 eine wichtige Rolle. Algerien bekam von Washington Waffen geliefert und avancierte zur dominierenden Militärmacht der Region. Die USA stationierten Spezialtruppen in mehreren Ländern der Region.

Zeichen auf Intervention

Doch alle vorbeugenden Maßnahmen erweisen sich nun als gescheitert. Die Zeichen stehen nun auf militärische Intervention, denn einen al-Qaida-Staat wie einst in Afghanistan unter den Taliban kann der Westen nicht tolerieren.

Im Süden Algeriens wird gerade eine Eingreiftruppe zusammengestellt. Sehr wahrscheinlich wird – und muss – sie die Dimensionen des normalen 3000 Mann starken Kontingents der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas übersteigen: „Wir werden sie aus dem Gebiet jagen“, versicherte Ecowas-Direktor Abdel-Fatau Musah.

Gleichzeitig geht man aber den Verhandlungsweg: Vergangenen Samstag wurden Vertreter der MNLA vom burkinischen Präsidenten Blaise Compaoré, der für die Ecowas vermittelt, im Präsidentenpalast von Ouagadougou empfangen. Einen Keil in den Spalt zwischen Tuareg-Rebellen und Islamisten zu treiben, könnte die Chance bieten, eine Intervention zu vermeiden, die die Büchse der Pandora öffnen könnte: Denn sind erst einmal ausländische Truppen im Land, hat das den Zustrom von Jihadisten noch jedes Mal angeheizt.

Auf einen Blick

Die Tuareg haben sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrmals gegen die Staatsgewalt erhoben – dank Waffen aus Libyen gelang es ihnen vor wenigen Monaten, Malis Regierungstruppen aus dem Norden des Landes zu vertreiben und den unabhängigen Staat „Azawad“ auszurufen. Zupass kam ihnen ein Putsch in der Hauptstadt, der ein Machtvakuum schuf. Mit den Tuareg kämpften auch die Islamisten von Ansar Dine – die derzeit versuchen, ihre einstigen Verbündeten an den Rand zu drängen und das säkulare Azawad in einen Gottesstaat zu verwandeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2012)

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