In Asien gebraucht man die quirligen QR-Codes als informativen oder unterhaltsamen Wegweiser durch den Alltag. In Europa geht der Hype einer realen Nutzung voraus, auch in Österreich.
Den pixeligen Quadraten entkommt man nicht: Sie lauern auf Plakaten, in Zeitschriften, auf Verpackungen, Einkaufssackerln. Selbst auf Visitenkarten wurden schon „QR-Codes“ gesichtet – mit Link zum Lebenslauf. QR, das steht für „Quick Response“, und so warten in den Barcodes Informationen darauf, mit der Kamera eines Smartphones gescannt zu werden. In Österreich tun sie das, im Gegensatz zu Korea und Japan, meist noch vergeblich. Trotzdem bleiben QR-Codes die Darlings der Marketingbranche, denen man Großes zutraut in der Mission, Kunden und Unternehmen näher aneinanderketten zu können.
Ursprünglich wurden die Barcodes von Toyota entwickelt, um Bauteile in der Autoproduktion besser maschinenlesbar zu machen. Die Anforderung war, viel Information auf wenig Fläche speichern zu können. Außerdem sollte die Fehlertoleranz hoch sein, der Code etwa auch Verschmutzungen verkraften. Seit seiner Entwicklung im Jahr 1994 legten die grobpixeligen Quadrate einen kometenhaften Aufstieg hin, vom Nebendarsteller in der Autoindustrie zum gehypten Star des „Mobile Tagging“.
QR-Codes und die Gewohnheit, sie zu nutzen, gehören in Teilen Asiens bereits zum Alltag. Dementsprechend sind die Entwickler etwa in Korea und Japan besonders erfinderisch. Der koreanische Einzelhandelsriese „E-mart“ erfand einen „Schatten-QR-Code“, der als dreidimensionales Objekt vor 36 Filialen in Seoul installiert wurde. Nur zwischen 12 und 13 Uhr wirft das Konstrukt einen Schatten, der als QR-Code gescannt werden konnte. Und das ließen sich viele Kunden nicht zweimal sagen und holten sich kleine Goodies als Belohnung ab. Laut dem Unternehmen konnte durch diese Kampagne der Umsatz zur Mittagszeit um 25 Prozent gesteigert werden.
Ebenfalls aus Korea stammt die Mobile-Shopping-Kampagne des Lebensmittelkonzerns Tesco: Um den viel arbeitenden Koreanern zu helfen, Lebenszeit zu sparen, baute man in den Seouler U-Bahn-Stationen riesige virtuelle Supermarktregale. Auf den Screens kann man die Produkte in den virtuellen Einkaufswagen legen, indem man ihre QR-Codes scannt. Der komplette Einkauf wird anschließend nach Hause geliefert.
Neuland. Gehypt werden die QR-Codes in Österreich auch, nur verwendet oder sinnvoll genutzt noch wenig. Das Potenzial dieser Technologie werde verschleudert, sind sich „Mobile-Marketing“-Experten einig. Und das hat verschiedene Gründe: Zum einen sind die Homepages, zu denen QR-Codes verlinken, oft gar nicht Smartphone-freundlich programmiert. „Der Code sollte auf eine mobile Website führen, nicht auf eine konventionelle Webseite“, meint Roland Sprengseis von „Bluesource“, einem Entwicklungsunternehmen für Mobile-Marketing-Tools in Hagenberg bei Linz.
Dazu kommt, dass die meisten QR-Codes schon gar nicht zu interessanten Inhalten führen – das wären Games, Gutscheine, Goodies – sondern lediglich zu langweiligen, weil herkömmlichen Websites.
„In 80 Prozent der Fälle wird der Code nur zum Verlinken der Unternehmenshomepage eingesetzt“, sagt Harald Winkelhofer Gründer des Mobile-Marketing-Unternehmens „IQ mobile“. Sein Unternehmen platzierte die QR-Codes hingegen hinter Adventkalendertürchen für die Post oder in Zeitungsinseraten für den Autohersteller BMW. Wer scannte, konnte sich kleine Gewinne abholen beziehungsweise Testfahrten mit dem neuen BMW-Modell gewinnen.
Das größte Problem bleibt allerdings: Die meisten User wissen gar nicht, was sie mit einem QR-Code überhaupt anfangen sollen. Sprengseis berichtet, er hätte in der Auslage eines großen Sportgeschäftes sehr prominent einen riesengroßen QR-Code installiert und sich zur Beobachtung in ein gegenüberliegendes Café gesetzt. „Es vergingen Stunden und niemand hat den Code gescannt.“
Vorreiter. In Japan, wo Surfen mit dem Handy allgegenwärtig ist, wird das Scannen eines QR-Codes sogar als gängigste Form für den mobilen Einstieg ins Internet genutzt. Dort seien sie „sehr intensiv im kollektiven Wissen verankert“, wie Christoph Lindinger vom Ars Electronica Center Linz weiß, wo QR-Codes für österreichische Verhältnisse schon länger eingesetzt werden – nicht zuletzt durch die häufigen Kooperationen mit japanischen Künstlern, die sich gern mit der Ästhetik der Barcodes beschäftigen. Doch auch in der Wissensvermittlung setzte man den Code schon in den 1990er- Jahren bei Ausstellungen an verschiedenen interaktiven Stationen ein.
Abseits der digitalen Kunstszene war der Anblick der Codes bis vor zwei Jahren freilich so ungewohnt, dass damals Agenturen begannen, diese als „Eye-Catching-Moments“ auf Werbesujets einzusetzen, erzählt Christian Adelsberger von „Evolaris“, einem Forschungs- und Entwicklungszentrum für interaktive Medien mit Sitz in Wien. Das sei heute, da auf jeder zweiten Zeitungsseite ein Code abgedruckt sei, nicht mehr möglich. Das Ziel bleibt allerdings das gleiche: Der QR-Code soll als Brücke potenzielle Kunden von der realen Welt ins mobile Internet zum Unternehmen lotsen. Und im Idealfall warten am anderen Ende dieser „Brücke“ Kundengutscheine, Spiele, Videos oder wichtige Informationen für unterwegs.
Die Zukunft der QR-Codes sieht Roland Sprengseis von „bluesource“ in speziellen Nischen wie „Grouponing“. Denn die meisten Funktionen könnten durch andere Bild- und Objekterkennungstechnologien wie Watermarking ersetzt werden, meint auch Adelsberger von „Evolaris“. Bislang haben in Österreich 21 Prozent der Smartphonebesitzer schon einmal „Mobile Tagging“ ausprobiert, sagt der „Mobile Communications Report 2011“. Tendenz: „Steigend“, wie Harald Winkelhofer von „IQ mobile“ erzählt. Doch er fügt hinzu: „Noch steigt die Enttäuschung nach dem Scannen leider oft genauso.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2012)