Der Gesetzesentwurf greift zwar wichtige Problembereiche auf. So wird Schadenersatz klarer geregelt und die Bundeswettbewerbsbehörde gestärkt. Doch die Gelegenheit für grundlegende Neuerungen wurde versäumt.
Nun liegt die Regierungsvorlage für eine Reform des Kartellrechts in Österreich vor. Dieser ging eine Evaluierung unter Einbeziehung verschiedener „Stakeholder“ (Sozialpartner, Wettbewerbsbehörden, Kartellgericht und Anwaltschaft) voraus. Die dazu geäußerten Meinungen waren so zahlreich wie divers, sodass der Gesetzgebungsprozess mit einiger Spannung verfolgt wird.
Das Ergebnis ist keine grundlegende Neuordnung des Kartellrechts in Österreich. Vielmehr wird an verschiedenen Stellen auf Detailfragen und Probleme reagiert. Dabei kommt einmal eher das europäische Modell zum Zug, das andere Mal wird am deutschen Recht Anleihe genommen. Hinzu kommen österreichische Sonderwege. Die Komplexität des in Österreich anwendbaren Kartellrechts wird hierdurch nicht gerade geringer. Im Detail kann man vier maßgebliche Neuerungen herausgreifen. Zunächst ist die sogenannte Bagatellausnahme zu erwähnen. Bisher waren in Österreich wettbewerbswidrige Absprachen zwischen zwei Unternehmen dann sanktionslos, wenn deren Marktanteil sehr gering war. Durch die Neuregelung sind nun sogenannte Hardcore-Absprachen (z.B. Preisabsprachen oder Kundenaufteilungen) unabhängig vom Marktanteil verboten. Diese Bestimmung entspricht zwar im Wortlaut einer europäischen Regelung. Letztere kommt aber immer erst dann zur Anwendung, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung überhaupt erst spürbar ist.
Auch Bäcker müssen zittern
Dieses europäische Spürbarkeitskriterium allerdings findet sich in dem vorliegenden Gesetzesvorschlag nicht. Das hat die interessante Folge, dass z.B. ein Gespräch zwischen zwei Bäckern, die ihre Geschäfte in ein und derselben Straße haben, über den Verkaufspreis ihrer Semmeln ein Fall für das Kartellgericht werden könnte.
Ein weiterer wesentlicher Eckpfeiler der Novelle ist die Verstärkung der Missbrauchskontrolle. Hier ist insbesondere die Regelung bezüglich marktbeherrschender Strom- und Gasunternehmen hervorzuheben. Diese sollen beim Anbieten von Elektrizität oder Erdgas daran gemessen werden, zu welchen Bedingungen es von anderen Energieunternehmen angeboten wird bzw. ob die Preise noch in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Kosten stehen. Es handelt sich dabei um eine Regelung, die nach einem deutschen (allerdings nicht unumstrittenen) Vorbild geschaffen wurde. Tatsächlich führt dies zu einer Beweislastumkehr für eine spezifische Gruppe von Unternehmen, die man sonst im KartG nicht findet. Die sachliche Rechtfertigung dafür ist somit zumindest fraglich.
Der dritte Eckpfeiler der Novelle ist die Festschreibung besonderer Modalitäten für die Geltendmachung von Schadenersatz wegen Kartellverstößen. Festgehalten soll nun z.B. werden, dass eine Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde für das Zivilgericht bindend ist, dass Zinsen bereits ab dem Zeitpunkt der Schadenszufügung verrechnet werden können, sowie, dass die Verjährung unterbrochen wird, solange ein Kartellverfahren läuft. Hier wurde ebenfalls eine deutsche Regelung übernommen. Diese gesetzliche Klarstellung ist angesichts der zunehmenden Bedeutung von Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit Kartellverstößen zu begrüßen. Dies auch, wenn man mit gutem Grund vertreten kann, dass die hiermit artikulierten Grundsätze weitgehend (u.a. durch die EU-Rechtsprechung) auch schon heute gelten.
Der vierte zentrale Punkt der angestrebten Reform war die Stärkung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Die BWB ist derzeit eine reine Ermittlungsbehörde und bedarf für jeden wesentlichen Verfahrensschritt eines Beschlusses des Kartellgerichtes (z.B. um ein Auskunftsersuchen durchzusetzen oder eine Geldbuße aufzuerlegen). Hier gab es im Vorfeld eine große Bandbreite an Meinungen, ob es dafürstehe, die BWB nun zur „Vollbehörde“ zu erheben und ihr somit auch die Entscheidungskompetenz über Kartellfälle zu geben. Die nun vorgeschlagene Lösung ist höchstens ein kleiner Schritt in diese Richtung. Die BWB wird demnach mit der Ermächtigung ausgestattet, strafbewährte Auskunftsbescheide aus Eigenem zu erlassen. Ob damit der Kartellrechtsvollzug in Österreich auf Behördenebene schon entsprechend geschärft wurde, darf jedoch bezweifelt werden.
Angleichung an EU-Normen fehlt
Als Resümee lässt sich festhalten, dass zwar die Intention begrüßenswert ist, längst fällige Problembereiche des österreichischen Kartellrechts anzugehen. Die dadurch bewirkte punktuelle Regelung wirft aber wieder neue Fragen auf. Umso bedauerlicher ist es, dass die Gelegenheit für eine grundlegende Reform des KartG, etwa durch eine weitgehende Angleichung an EU-Normen, nicht genutzt wurde. Hier besteht durchaus noch Platz für den nächsten Reformschub.
Dr. Raoul Hoffer ist Partner bei Binder Grösswang Rechtsanwälte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2012)