Die neue Regierung wird keine Schonzeit haben

(c) Dapd (Petros Giannakouris)
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Der Wahlkampf hat das Land gelähmt, die Einnahmen drohen völlig zusammenzubrechen. Die Zustände in den Spitälern sind chaotisch, mittlerweile gibt es große Engpässe bei Medikamenten und Verbandmaterial.

Athen/C.g. Es war für viele Griechen ein großer Hoffnungsschimmer am Vorabend der Wahl: Die Fußballnationalmannschaft sorgte mit ihrem überzeugenden Einzug ins EM-Viertelfinale für frenetischen Jubel im Land und flößte neues Selbstvertrauen ein. Möglicherweise mit einem Kater nach der Feier des Erfolges gegen Russland, aber auch begleitet von Wahlempfehlungen der EU-Partner, waren am gestrigen Sonntag etwa 9,9Millionen Griechen bereits zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen dazu aufgerufen, bei brütender Hitze ein neues Parlament zu wählen. Doch die Euphorie der Fußballfans steckte nicht alle an: „Ich bin das erste Mal nach einer Wahl deprimiert, weil ich weiß, dass ich wieder für die gestimmt habe, die das Problem verursacht haben; aber wir haben keine Alternative“, sagt etwa die 66-jährige Englischlehrerin Koula Louizopoulou.

Fest steht: Griechenland braucht eine handlungsfähige Regierung. Einen dritten Wahlkampf kann sich das Land im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr leisten. Das Geld in der Staatskasse reicht noch bis Mitte Juli. Der lange Wahlkampf hat das Land gelähmt, die Einnahmen drohen völlig zusammenzubrechen.

So hätten die griechischen Bürger bereits bis Mitte Juni ihre Steuererklärungen abgeben müssen – von denen sich der Staat heuer mehr als fünf Milliarden Euro Einnahmen erwartet, was eine entscheidende Stärkung der Einnahmen wäre. 2011 betrugen die Einnahmen aus der Einkommensteuer gerade 1,1Mrd. Euro. Der Staat gab sich milde, um den Konsum zu stützen – was misslang, wie man heute weiß.

Doch aufgrund des Machtvakuums hatten zwei Wochen vor Abgabefrist nicht einmal zehn Prozent der Steuerpflichtigen ihre Erklärungen abgegeben. Der Abgabetermin musste auf Mitte Juli verschoben werden – mit der Hoffnung, dass die Bürger nach den Wahlen ihre schwindenden Ersparnisse williger an den Fiskus abtreten werden. Die diesjährige Steuererklärung trifft übrigens niedrige Einkommensschichten hart – die Steuerfreigrenze wurde auf 5000Euro gesenkt, Abschreibungen sind nur in sehr geringem Ausmaß möglich.

Stetiger Abfluss von Spareinlagen

Sorge macht aber auch der stetige Abfluss von Spareinlagen aus den griechischen Banken, die Abgänge betrugen in den Monaten April und Mai, nach den Prognosen auch im Juni, jeweils etwa fünf Milliarden Euro. Während die Einlagen von Firmen und Privaten also im Dezember 2010 noch bei knapp 210Milliarden Euro lagen, betrugen sie im April 2012 nur noch 166Milliarden und dürften bis Ende Juni auf 155Milliarden Euro gefallen sein.

Die politische Unsicherheit hat nicht nur zu einem Stopp des Privatisierungsprogramms geführt, sie hat auch den Abgang von privaten ausländischen Investoren zur Folge: Am Freitag verkündete etwa der französische Supermarktkonzern Carrefour, dass er aus Griechenland abziehen wird – er war bislang der Marktführer in Griechenland. Aber auch die in dem südosteuropäischen Land engagierten französischen Banken überlegen dem Vernehmen nach ihren Ausstieg aus dem unsicheren Markt.

Rezession von 6,5Prozent

Das Staatsdefizit konnte mit 6,4Milliarden Euro Ende Mai einigermaßen unter Kontrolle gehalten werden. Doch der Preis war hoch: Die Rezession in den ersten drei Monaten des Jahres betrug 6,5Prozent, die Arbeitslosenzahl steigt stetig. Im ersten Quartal 2012 lag sie bereits bei 22,6Prozent. Dazu kommen noch 400.000Arbeitskräfte, denen von den verschiedensten Arbeitgebern der Lohn geschuldet wird.

Und dann sind da noch die Schulden des Staates gegenüber seinen Lieferanten, denn die Ausgaben konnten lediglich durch einen – inoffiziellen– Zahlungsstopp unter Kontrolle gehalten werden. So schuldet die öffentliche Hand den Unternehmen zurzeit 6,4Milliarden Euro.

Das ist auch die Ursache für die chaotischen Zustände in den Spitälern: Die Pharmaindustrie, aber auch die anderen Lieferanten der Spitäler boykottieren die Krankenhäuser, weil der Staat ihnen zu viel Geld schuldet.

Engpässe bei Medikamenten

So gibt es Engpässe bei Medikamenten, aber auch bei Operationsmasken oder Verbandmaterial. Die Vertreter der Pharmaindustrie sind noch aus einem anderen Grund schlecht auf den Staat zu sprechen: Sie wurden für alte Schulden mit Staatsanleihen bezahlt – doch die verloren beim jüngsten Schuldenschnitt stark an Wert. Die Verluste der Industrie und der Zorn auf die Regierung sind groß.

Die griechische Übergangsregierung hat nun eine Anzahlung mit Geldern aus einer kurzfristigen Staatsanleihe geleistet und hofft, dass sich die Lieferanten des Gesundheitssystems damit – vorerst – zufriedengeben werden. Eine längerfristige Lösung muss dann – hoffentlich in absehbarer Zeit – eine neue Regierung zustande bringen.

Auf einen Blick

In der griechischen Staatskasse gibt es nur noch bis Mitte Juli Geld für Löhne und Pensionen. Bereits bis Mitte Juni hätten die Bürger ihre Steuererklärungen abgeben müssen – von denen sich der Staat heuer über fünf Milliarden Euro an Einnahmen erwartet. Wegen des Machtvakuums haben das bisher aber nicht einmal zehn Prozent der Steuerpflichtigen getan. Auch der stetige Abfluss von Spareinlagen aus den griechischen Banken – pro Monat sind das etwa fünf Milliarden Euro – bereitet große Sorgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2012)

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