G20-Gipfel: Europäer wehren sich gegen "Belehrungen"

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Statt Einigkeit zu demonstrieren, trugen Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer Konflikte offen zur Schau. Man stritt über Rezepte zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise.

Buenos aires/San josé de los cabos. Weißer Sandstrand, Palmen und eine glühende Sonne, die das Thermometer bis auf 35 Grad hochtreibt. San José de los Cabos bietet mit seinen Luxushotel und Golfcourts eigentlich ideale Bedingungen, um ein paar Tage lang auszuspannen. Doch die Gäste, die zu Wochenanfang die Luxushotels des Ressorts bevölkert hatten, waren nicht in Urlaubsstimmung.

Denn selbst über die Südspitze der mexikanischen Halbinsel Baja California, mehr als zehntausend Kilometer entfernt von Brüssel und Frankfurt, Athen oder Madrid, weht ein Pesthauch aus Europa. Gleich zu Beginn des G20-Gipfels, zu dem am Montag und Dienstag die Staatschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zusammenkamen, mussten sich die Europäer massive Kritik aus anderen Erdteilen anhören. Trotz des vermeintlich glimpflichen Ausgangs der griechischen Wahl vom Sonntag fürchtet die Welt eine globale Ausbreitung der europäischen Krise. Am deutlichsten formulierte es Südkoreas Präsident Lee Myung-bak: Nur durch einschneidende Reformen des Euro-Finanzsystems könnten die Schuldenprobleme gelöst werden – auch wenn die Maßnahmen schmerzhaft oder unpopulär seien.

Etwas freundlicher im Ton, aber in der Sache ähnlich kritisch äußerten sich US-Präsident Barack Obama und die Staatschefs von Indien, Manmohan Singh, und China, Hu Jintao. Und auch ein kontinentaler Euro-Outsider stimmte in den Weltenchor ein: Briten-Premier David Cameron verlangte, das „die Europäische Zentralbank mehr für die Nachfrage tun“ solle, ebenso „die Staaten im Herzen Europas“.

Buhfrau Angela Merkel

Wem dieser Pfeil galt, war allen Delegationen in dem Strandparadies klar. Jener Dame, die noch weniger Urlaubsstimmung im Gepäck hatte als der Rest der Weltenlenker. Angela Merkel wusste im Vorfeld, was ihr auf dem Gipfel blühen würde. „Können wir bitte die Motoren anwerfen, Frau Merkel?“, fragte die britische Elite-Zeitschrift „The Economist“ auf dem Cover und zeigte dazu einen absaufenden Supertanker namens Weltwirtschaft. Doch die mächtigste Frau der Welt weigerte sich auch an pazifischen Gestaden, milliardenschwere Wachstumsprogramme zu starten, die nur mit weiteren Schulden finanziert werden könnten, wie das vor allem die US-Seite verlangt. Merkel verwahrte sich gegen einseitige Schuldzuweisungen: „Hier wird jeder Kontinent seinen Beitrag leisten müssen“, entgegnete sie ihren Kritikern in aller Welt.

In Folge bekam sie Beistand von José Manuel Barroso: „Wir lassen uns von niemandem belehren“, sagte der Präsident der EU-Kommission. Die Krise sei nicht von Europa ausgelöst worden, sondern habe vielmehr in den Vereinigten Staaten ihren Ausgang genommen. „Wir sind nicht hierhergekommen, um Nachhilfestunden in Demokratie oder Wirtschaftsführung zu erhalten.“

„Kein weiterer Gesprächsbedarf“

Merkels am Montagabend für eine halbe Stunde angesetztes Privatissimum mit Barack Obama dauerte wesentlich länger, danach sagte der US-Präsident das angesetzte Treffen mit allen EU-Vertretern brüsk ab. „Es gibt keinen weiteren Gesprächsbedarf“, lautete die Begründung der US-Vertreter. Danach wurde aus der deutschen Delegation allein jener Punkt kommuniziert, in dem Merkel und Obama Einigkeit erzielt hatten: „Weitere Schritte zur politischen Integration“ in Europa seien notwendig.

Entsprechend vage las sich der Entwurf für die Schlusserklärung des Gipfels: „Die Mitglieder der Eurozone in der G20 werden alle notwendigen politischen Maßnahmen ergreifen, um die Integrität und Stabilität des Währungsraumes zu sichern.“ Ob es dafür die Reise ins mexikanische Urlaubsparadies gebraucht hat, darf hinterfragt werden.

Auf einen Blick

Beim G20-Gipfel in Mexiko kamen Montag und Dienstag die Staats- bzw. Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zusammen. Die Atmosphäre war wegen divergierender Konzepte zur Krisenbewältigung alles andere als freundschaftlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2012)

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