Appell an die Medien: Verweigert den Erregungsdienst!

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Symbolbild(c) Erwin Wodicka
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Massenmedien gibt es seit 1914, sie haben zunächst den Krieg verherrlicht: Das erklärte Philosoph Sloterdijk bei der VÖZ-Jahresversammlung. Ebendort gab der Jus-Student Schrems Tipps im Umgang mit Facebook.

Karl Kraus: Irgendwann im Vortrag von Peter Sloterdijk musste dieser Name fallen. Kraus hat ja wie kaum ein anderer Denker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Mechanismen der gedruckten Massenpresse analysiert, die ihm so verhasst war, dass er sie als „schwarze Magie“ bezeichnete.

Philosoph Sloterdijk nahm seine Zuhörer bei der Jahresversammlung des Verlegerverbandes (VÖZ) am Donnerstag mit auf eine Reise von den Anfängen bis ins Heute der Massenmedien. Denen würde er demnächst eine 100-Jahr-Feier ausrichten, denn ihre Geburtsstunde datiert er auf das Jahr 1914 und den Beginn des ersten Weltkriegs. In den Jahrhunderten davor habe es keine effektiven Massenmedien gegeben. Noch zu Zeiten der französischen Revolution sei das Weitersagen der Informationen „mindestens so stark wie die gedruckte Presse“ gewesen.

100 Jahre Massenmedien

Erst ab 1914 habe sich die Presse als Industrie etabliert, die gezielt den Krieg verherrlichte, die Schrecken des Krieges frivolisierte. Die ständigen Nachrichten über den Krieg seien für die damaligen jungen Männer wie „ein vier Jahre lang ausgetragenes Champions League-Finale“ gewesen. Die Folge: „Die Männer wollten Jahre später das Rückspiel bekommen.“ Bis heute würden Medien dem Publikum jeden Tag eine Reihe von „Erregungsvorschlägen“ bieten. Zeitung lesen oder fernsehen lasse sich auch als „Einberufung der Bürger in den Erregungsdienst“ bezeichnen. In Zeiten von Krieg oder Krise würden Medien monothematisch zuspitzen. Eine glückliche Gesellschaft sei daran erkennbar, „dass die Erregungsvorschläge vielfältig und bunt sind.“ Ein wirklicher Bürger sei einer, der sich die Zeitung in den Urlaub nachschicken lässt.

Sloterdijk sieht die Massenmedien auch als Komplizen des Terrorismus: „Wir berichten am breitesten über das Schlimmste, das weiß auch der Terrorist. Er bekommt maximale Belohnung für maximale Scheußlichkeiten.“ Jeder begreife das außer den Medien selbst, „weil sie glauben, sie kommen ihrer Informationspflicht nach“. Auflösen könne man dies nur, wenn die Medien ihren Erregungsdienst hier verweigern und demokratisch schweigen. So wie sie das in Österreich bei U-Bahn-Selbstmorden tun. Das sei vielleicht das erste Kapitel in einem neuen Weißbuch der Kommunikationswissenschaft, an dem wir arbeiten könnten.

In den Erregungsdienst getreten ist – in Sloterdijkscher Diktion – der 24-jährige Jusstudent Max Schrems. Er führt seit dem Vorjahr einen mutigen juristischen Kampf gegen Facebook und deren teils illegale Datenschutzmethoden.

Der bessere Like-Button

Den österreichischen Verlegern erklärte er, wie sie künftig ihre Online-Leser davor schützen können, nicht ständig versteckt Daten an Facebook abzugeben. Die Installation des datensichereren Like-Buttons von Facebook, der heute automatisch jeden Online-Text ziert, bot er dann sogar gratis an. Das, obwohl er für die weiteren geplanten Klagen gegen Facebook vor irischen Gerichten eigentlich Geld braucht, falls er das Verfahren nicht gewinnen sollte. awa

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