Das riskante Spiel der ägyptischen Generäle

Die Revolution im Land am Nil ist schon bisher nur eine halbe Revolution gewesen. Jetzt droht der Oberste Militärrat, ihr endgültig den Todesstoß zu versetzen.

Hoch und heilig hat Ägyptens Militärrat versprochen, seine politische Macht sofort in die Hände des neuen Präsidenten zu legen – sobald dieser gewählt sei. Gewählt wurde vergangenes Wochenende. Das Dumme ist nur: Präsidenten gibt es noch immer keinen. Die staatliche Wahlkommission ziert sich, den Namen des Siegers zu verkünden. Angeblich, weil sie noch diverse Einwände überprüfen will. Doch der gelernte Ägypter ist zu Recht misstrauisch. Er erinnert sich nur zu gut an die wilden Wahlmanipulationen der Ära des 2011 gestürzten Autokraten Hosni Mubarak.

Der Oberste Militärrat hatte schon bisher die Zügel in der Hand. Zuletzt trugen die Generäle ihre Macht aber immer arroganter zur Schau. Sie spielen ein gefährliches Spiel. Sollten sie tatsächlich so unverfroren sein, mit Tricksereien ihren Kandidaten Ahmed Shafik ins Präsidentenamt zu hieven oder gar anstelle eines zivilen Staatsoberhauptes weiterzuregieren, würde Ägypten in eine neue Phase des Chaos stürzen. Ägypten ist das bevölkerungsreichste arabische Land. Was hier geschieht, hat – zumindest starke symbolische – Bedeutung für die weiteren Entwicklungen in der Region.

Die jüngsten Umbrüche in der arabischen Welt waren von Anfang an mit einem Makel behaftet. Überall dort, wo der Sturz der Machthaber glückte, waren die Revolutionen auch Revolutionen von oben: In Tunesien verweigerte das Militär Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali die Gefolgschaft. Zwar rückten in den Tagen des Aufstandes Panzer und Soldaten aus. Doch die Armee schlug die Proteste nicht nieder. In Libyen wechselten Regimemitglieder wie Justizminister Mustafa Abdel Jalil und der später ermordete Ex-Innenminister Abdel Fatah Younis auf die Seite der Opposition, und im Osten des Landes liefen ganze Militäreinheiten zu den Rebellen über. In Ägypten setzten die Generäle Präsident Mubarak samt seinem Familienclan ab, als klar wurde, dass der 82-Jährige nicht mehr zu halten war.

Ohne diese Revolutionen von oben wären die Erfolgsaussichten der Revolutionen von unten – des Aufbegehrens der einfachen Bürger – wohl geringer gewesen. Ben Ali hätte in Tunesien nicht so rasch die Flucht ergriffen, wenn er die Streitkräfte hinter sich gewusst hätte. Ohne den „Nationalen Übergangsrat“, in dem auch viele Ex-Regimemitglieder saßen, hätten Libyens Rebellen der internationalen Gemeinschaft keinen akzeptierten Ansprechpartner bieten können. Und ohne Palastrevolte des Militärs wäre der Kampf für ein Abdanken Mubaraks länger und vermutlich auch blutiger geworden.

Gerade in Ägypten sorgte das Eingreifen der Streitkräfte aber auch dafür, dass die Revolution eine halbe Revolution blieb. Denn die Generäle handelten, um ihren Einfluss zu bewahren – oder sogar auszudehnen; und nicht aus Sympathie für einen Regimewechsel. Sie mussten in den Monaten nach Mubaraks Sturz die Schutzherren einer Revolution spielen, die eigentlich nicht in ihrem Interesse war. Spätestens jetzt ist die Maske endgültig gefallen.

Die Bilanz des sogenannten Arabischen Frühlings ist durchwachsen: Syrien schlittert immer tiefer in einen Bürgerkrieg. In Bahrain wurde der Aufstand der – mehrheitlich schiitischen – Demonstranten vom sunnitischen Königshaus und den sunnitischen Nachbarn niedergeschlagen: aus Angst, das schiitische iranische Regime könnte seinen Einfluss am Golf weiter ausdehnen. Libyen kämpft mit einem gewaltigen Sicherheitsproblem und dem Mangel an staatlichen Strukturen. Trotzdem herrscht in dem nordafrikanischen Land heute mehr Freiheit als unter Diktator Gaddafi. Und auch in Tunesien und Ägypten kehrte weit mehr politische Freiheit ein als zu den Zeiten Ben Alis und Mubaraks. In den beiden Ländern sind erstmals relativ freie Wahlen abgehalten worden, in denen alle politischen und ideologischen Kräfte der Gesellschaft die Möglichkeiten hatten, ihren Willen auszudrücken. Das war ein demokratischer Fortschritt – auch wenn zum Schrecken des Westens vor allem islamistische Parteien siegten.

In Ägypten droht nun die Armee, diesen Fortschritt zunichtezumachen. Es liegt in der Hand der Generäle, ob im Land am Nil auch der letzte Hauch des Arabischen Frühlings weggeweht wird.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2012)

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